11.12.2003 – 08.01.2004: "Danke Argentinien" (Ricarda)

"Man ist das kalt heute!", wieder nur um die 10°C. Der Himmel ist grau in grau und dazu bläst immer noch der kalte, patagonische Wind. Anscheinend haben wir Patagonien noch nicht hinter uns gelassen.

Drei Stunden lang friere ich auf dem Weg von "El Bolsón" in Richtung "San Martín de los Andes". Wir haben uns für eine Nebenstrecke über "Confluencia" entschieden. Auf Schotter- und Wellblechpiste, über Haarnadelkurven und grobe Steine, wie in "alten bolivianischen Tagen". Durch bizarre Felslandschaften fahren wir hinauf zum Paso Cordoba (1300m). Nach dem Paß biegen wir zu einem malerischen See ab, genannt Hua-Hum. Kurzerhand schlagen wir unser "Lager" auf. Heute kann man wirklich von Lager sprechen, denn heute wird alles auf dem Lagerfeuer zubereitet. Wer Torsten kennt, weiß, daß er spätestens jetzt in seinem Element ist. Feuer! Die magische Wirkung dieses Elementes überträgt sich regelmäßig auf ihn. Selbst den kohlrabenschwarzen Topf wieder zum "Blinken" zu bringen, ist ihm dann nicht zuviel Arbeit.

Ja, und eigentlich hätte es so schön sein können, doch am folgenden Morgen beginnt das "Desaster". Nieselregen, der dann über geht in 4-stündigen Dauerregen, der sich schließlich über den ganzen Tag verteilt, und nie länger als 1 Stunde Unterbrechung aufweist, und der uns viel Kopfzerbrechen beschert. Wir harren quasi den ganzen Tag im Zelt aus. Doch das ist noch nicht das "Ende der Fahnenstange", denn es gibt ja noch andere Naturerscheinungen. Es wird zunehmend kälter und als sich am nächsten Morgen die Sonne für kurze Zeit heraus wagt, trauen wir unseren Augen kaum: Es hat tatsächlich geschneit! Die umliegenden Berge sind weiß und die Schneefallgrenze ist uns beängstigend nahe gekommen. "Jetzt reicht es aber, lange genug gewartet"! So schön es hier auch ist, nichts wie weg! Trotz aufgeweichter Piste, wagen wir uns raus aus dem "nassen Loch". Erschwerend kommt hinzu, daß der Scrabber (Schotterstraßen-Nivelliermaschine) seine Runde gezogen hat und den Weg nun als Ganzes in eine glibberige, weiche Masse verwandelt hat. Aufkommender Schneefall macht die Fahrt perfekt!

Durchgefroren und naß suchen wir in einem Restaurant in San Martín Zuflucht. "Ein warmes Schafsfell auf den kalten Boden gelegt, hat es für die Füße schnell wieder gut gemacht" (so ähnlich hatte es Wilhelm Busch in Max und Moritz wohl gemeint...).

Für heute haben wir genug Natur gehabt, wir suchen Zuflucht in einer "Albergue" und sind selig über warmes, trockenes und unterhaltsames "Indoor-Leben". Wir bleiben ganze 3 Tage bei Aldo und Marita, haben wahnsinnig viel Spaß mit den Mitbewohnern und lernen wie man "Ciervo Ahumado" (geräuchertes Hirschfleisch) zubereitet. Natürlich gibt dies wieder ein neues Rezept für die Rubrik "Deckel auf". Die Umsetzung ist allerdings nur mit ein wenig Aufwand möglich. Man nehme eine Flinte, jage einen Hirsch, weide ihn aus, trage ihn nach Hause... und folge der Rezeptbeschreibung.

Über windgepeitschte Straßen geht es weiter. "Komisch", durchströmt es immer wieder meine Gedanken, "ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wie das ist, einigermaßen gerade auf dem Motorrad zu sitzen, vielleicht noch etwas anderes zu Hören als permanentes Windgeheule, oder meinen Kopf locker hin und her bewegen zu können, wenn ich mir die Landschaft anschauen will. Meine Nackenmuskulatur ist bestimmt auf das Doppelte angeschwollen – Stiernacken gleich..."

Wieder einmal fahren wir ein Stück Routa 40 (Zapala – Las Lajas – Chos Malal – Barrancas – Bardas Blancas – Malargüe – San Rafael), was meist mit schlechter Straße, aber Einsamkeit und schöner Landschaft einhergeht. Wer die Berichte (im 2. Abschnitt), z. B. über Calafate gelesen hat, weiß wovon ich spreche. Für uns eröffnen sich Blicke auf Berge in schillernden Farben, wir "umzingeln" den Vulkan Trompe, Blicke in weite Täler und auf eine kleine grüne Oase in Mitten des "Niemandslandes". Die Straße selbst hat auch Einiges zu bieten, scharfe Kurven, gespickt mit großen Steinen, Schotter, verrotteten Asphalt, Asphalt der feinsten Sorte und das in unregelmäßigem Wechsel. Wie man hört, wird uns nicht langweilig auf dieser Fahrt. Das Highlight dieses Tages bildet aber unser Platz zum Campen. Ein Fleckchen Erde in einer schroffen Felslandschaft unterhalb der "Cavernas de las Brujas" (Caverna = Höhle, diesmal eine Tropfsteinhöhle, Bruja = Hexe). Wir campieren auf dem einzigen grünen Flecken weit und breit, der groß genug ist für unser Zelt, in einem winzigen Tälchen, an einem winzigen Rinnsal. Ein herrlicher Ort, der sofort zum Träumen einlädt. Es gibt nur ein Problem, wo sollen wir die Motorräder abstellen?. Doch Torsten hat sich schon zum "Off-Road-Spezialisten" entwickelt und meistert den losen, schrägen Schotterabhang quer durchs Gestrüpp mit Bravour.

Nachdem es noch einmal frisch wird in der Nacht (immerhin sind wir 1800m hoch), erreichen wir am nächsten Tag endlich, endlich wärmere Gefilde.
Unser Ziel ist San Rafael, besser gesagt, das Valle Grande mit dem Cañon Atuel. Ein bekanntes Ferienziel für Argentinier. Das Tal ist voll mit Campingplätzen und Cabañas. Doch es ist Vorsaison, also alles noch "tranquillo". Das Tal ist gigantisch mit seinen riesigen, roten Sandsteinwänden, die durch die Auswaschungen des Rio Atuel in bizarren Formen in den Himmel empor ragen.
Am Ende des Tales liegt der Stausee "Valle Grande". Der eigentliche Cañon Atuel folgt dahinter. Auch er läßt an Größe, Gesteinvariationen und -gebilden nichts zu wünschen übrig.

Auf Faulenzertage in "San Rafael" folgen Faulenzertage in "Merlo". Dieses kleine Örtchen am Fuße der "Sierra de Comechingones" haben wir uns rausgesucht, um meinen Geburtstag und Weihnachten zu feiern.
Und tatsächlich finden wir einen wirklich genialen Platz auf dem Campingplatz, unter einer Trauerweide. Wir haben zwar nicht vor, Weihnachten zu trauern, aber der Baum gefällt mir auf Anhieb - wie die Äste im Wind mit uns spielen, wenn wir darunter sitzen! Außerdem schafft er so etwas wie Abgeschiedenheit, Privatsphäre, ganz für uns allein.
Daß dann Weihnachten sehr "spießig" war, wissen einige Leser ja schon. Unsere Gedanken sind bei Freunden und Verwandten, aber auch bei Ideen zur Neugestaltung des Weihnachtsfestes, wenn wir wieder zurück sind. Leider haben wir für "argentinische Weihnachten" in Deutschland noch keine Patentlösung parat.

Es hat die ganze Nacht geschüttet, so daß wir fast weg geschwommen sind. Doch heute wollen wir weiter, ´rauf zur "Sierra Grande" über den "Camino de las Altas Cumbres" in Richtung Cordoba. Leider haben wir die Rechnung ohne das Wetter gemacht. Je höher wir kommen, desto nebeliger wird es. Von den versprochenen Aussichten ist nichts zu sehen. Nach einigem Hin und Her, drehen wir um und verschieben die Fahrt auf den nächsten Tag. Gut so, denn am Morgen liegt sie in ihrer ganzen Pracht vor uns, die wunderschöne "Sierra Grande". Von 880m Höhe schraubt sich die gute Paß-Straße bis auf 2225m hinauf, und immer wieder führt sie zwischen riesigen Granitfels-Formationen hindurch. Ab und zu taucht eine Hütte am Straßenrand auf und es werden "queso de cabra" (Ziegenkäse), "pan casero" (hausgemachtes Brot) und "alfajores" (ein typisches argentienisches Süßgebäck) verkauft. Über der Szenerie kreisen die Könige der Lüfte, die Kondore. Was will man mehr! Und alles umsonst! (in Peru mußten wir für einen Platz an der Straße 2$ Eintritt bezahlen, um Kondore beobachten zu dürfen).

In "Villa Carlos Paz" (40km von Cordoba entfernt) am "Lago San Roque" treffen wir Andy wieder. Andy ist ein Amerikaner, den wir bereits im Februar 2003 in Rio Grande / Tierra del Fuego und auch in Punta Arenas / Chile schon getroffen hatten. Eine willkommene Abwechslung für uns, in Gesellschaft eines anderen Reisenden zu sein. Bisher sind wir auf unserer Reise (zweiter Teil) mit solchen "Events" eher unterversorgt gewesen. Wir bleiben eine ganze Woche, regeln Einiges am Motorrad, wie Ölwechsel, Luftfilterwechsel und den längst überfälligen Reifenwechsel. Diesmal entscheiden wir uns jedoch bei den Reifen für ein Straßenprofil. In Brasilien gibt es sehr viel asphaltierte Straßen, von daher wäre dieses Profil für die Weiterreise geeigneter. Ob es die richtige Entscheidung war? Mal sehen!
Und schon ist es Sylvester. Wir verbringen den Jahreswechsel gemeinsam mit Andy, und zwar nicht beim "Dinner-for-one-gucken", sondern beim Zaubern eines Sylvesterkarpfens im selbstgebastelten Aluminium-Folien-Bräter.

Kurz noch ein paar Worte zu Andy. Er ist "Berufsreisender". Seit mittlerweile 22 Jahren tingelt er mit Rucksack und per Anhalter durch die Welt. Hin und wieder reiste er nach Europa, um dort sein Budget wieder aufzustocken. Als Alleinreisender hat er ein sehr großes Mitteilungsbedürfnis, denn nicht immer bietet sich für ihn solch eine Gelegenheit zu ausgiebigen Gesprächen. Am Abend unseres Reifenwechsels überrascht er uns mit "gutbürgerlichem Abendbrot á la Alemania"

Um so mehr genieße ich die "Funkstille" unterwegs bei der Weiterfahrt. Auf dem Weg in Richtung "San Miguel de Tucumán" geht es vorbei an endlosen Zuckerrohrfeldern. Die Hitze zwingt uns zu einer Pause beim Örtchen "Cruz del Eje". Am Fuße des Staudamms, der übrigens 3km lang ist und befahren werden kann, machen wir es uns im Schatten der Bäume gemütlich und halten Siesta – Hitzfrei!. In Tucumán erwartet uns ein Bekannter von unseren amerikanischen Motorradfreunden Gail und Eric Haws. Sein Name ist Alejandro. Er ist Pilot und – wie sollte es anders sein, begeisterter Motorradfahrer!. Wir sind kurzerhand eingeladen, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Die Gastfreundschaft der Argentinier zeigt sich wieder von ihrer besten Seite. Obwohl vormittags der erst 7 Tage junge Sohn getauft wurde sind wir herzlich willkommen. Alle sind uns gegenüber offen, freundlich und fragen uns interessiert über unsere Reise aus.

Damit hatten wir nicht gerechnet, denn eigentlich wollten wir nur "Hallo" sagen. Verschwitzt von der Fahrt, leisten wir Alejandro und seiner Mutter Gesellschaft in der kleinen "Piscina" hinter dem Haus und erwecken damit unsere Lebensgeister.
Am Abend gehen wir alle zusammen in ein typisch tucumanisches Restaurant: Empanadas, Humitas, Tamales bis zum Abwinken - y muy, muy rico. In netter Runde werden Motorraderfahrungen ausgetauscht und Alejandro gibt uns Tipps für die Weiterreise.

Wir nähern uns indes immer mehr dem Ende unseres Argentinien Aufenthalts. Die nördliche Grenze rückt in greifbare Nähe. Na ja, für argentinische Verhältnisse vielleicht, denn schließlich fahren wir noch 1053km bis zur bolivianischen Grenze.

Bleibt noch zu berichten, daß der Norden zwei krasse Gegensätze in seiner Vegetation bietet. Als da wären die Yungas z. B. im "Tafí del Valle" und rundum "Salta". Sie bieten ein einmaliges tropisches Grün, gepaart mit kurvigen Strecken, bergauf, bergab. Endlich – nach den langen "geraden Wegen" in Patagonien. Zum anderen eine staubige, trockene Anden-Hochlandschaft, die von der üppigen Vegetation ganz abrupt ablöst wird, sobald man die Berge wieder verlassen hat. Das "herausstechende" sind die riesigen Kakteen, die in unzähliger Anzahl auf den Hügeln und Bergen stehen. Selbst vor historischen Stätten, wie der Siedlung von "Quilmes" (präkolumbianische Ruinen) am Fuße eines Berges, machen sie nicht halt.
Die Straße führt uns weiter, durch Weinfelder bei "Cafayate" und durch die faszinierende "Quebrada de Cafayate". Felsen, Felsen, Felsen, wieder in den tollsten Farben. Bei brütender Hitze können wir es nicht lassen, ein Foto nach dem anderen zu schießen. In einem, aus Felsen bestehenden Amphitheater, bekommen wir sogar noch ein Flöten-Gitarren-Konzert zu hören. Die wahnsinnige Akustik fesselt mich so, daß ich glatt die zum Verkauf stehende CD der beiden Musiker kaufen muß. Wir erreichen Salta – eine Stadt, die mir besonders gut gefällt. Der koloniale Baustil der Häuser, die kleinen Gassen, die Plaza, eine Stadt mit Flair und mit, wie so häufig in Südamerika, spanischer Vorgeschichte. Wir genießen es wieder einmal in einer Stadt zu sein. Meist waren wir die letzten Wochen in kleineren Orten oder haben außerhalb von großen Städten campiert.

"Jujuy" und "Purmamarca" bilden die letzten Stationen in Argentinien. Das kleine staubige Nest Purmamarca, mit seinem "Cerro de Siete Colores", erinnert mich stark an "San Pedro de Atacama", was nicht verwundert, es liegt zwar in Chile aber ungefähr auf gleicher Höhe und Breitengrad. Es ist ein Touristennest mit Rucksackreisenden, aber trotzdem verschlafen und einfach. Adobehäuser, kleine Straßen, rote Erde, eine Kirche mit Kaktusholzgebälk, das alles gab es auch in San Pedro de Atacama zu sehen. Macht nichts, für mich hat es etwas Charmantes an sich. Charakteristisch ist natürlich der Berg mit seinen 7 Farben. "Hermoso, impresionante!" Leider sind wir am Nachmittag da und die Sonne steht nicht im richtigen Winkel, um die Farben in der vollen Intensität einzufangen.

Tja, und zu guter Letzt, spült uns der Regen aus dem Land. Noch nie stand unser Zelt so unter Wasser!!! In der Nacht wird Torsten zum "Staudamm-Ingenieur", um uns vor dem totalen Untergang zu bewahren.

Das war jetzt "unser" Argentinien? Mitnichten, es wird noch eine Fortsetzung geben...
Doch bis heute sind wir insgesamt 5 Monate und über 12500 Kilometer durch dieses tolle, abwechslungsreiche Land gereist und haben es mit seinen super netten, offenen Menschen schätzen und lieben gelernt. "Danke Argentinien, für die schönen Erlebnisse und Begegnungen, die du uns gegeben hast!"

   
     
anfang
home