| 23.01. - 20.02.03: Wenn es regnet, scheint die Sonne (Torsten) | ||
|  
       
  | 
     
       Der Himmel über Puerto Montt ist dunkelgrau und wolkenverhangen an diesem Morgen. Konrads Haus steht auf einem Hügel und vom Fenster aus blicke ich über den großen, langgezogenen Fjord, namens "Seno de Reloncaví". Der über 8m hohe Tidenhub hat ein 300 - 500m breites Watt entstehen lassen, so daß der Ausblick niemals gleich und eintönig ist. Tagein - tagaus kutschieren kleine, einachsige unbeladene Pferdewagen über das Watt hinaus zu den Zuchtanlagen der Meeresalgen. Nur mit diesen Pferdewagen ist es möglich, die Algen über das Watt zu transportieren, um sie dann auf große Lkws umzuladen. Vereinzelt spiegelt sich die Sonne im noch feuchten Watt, ansonsten stecken die Berge östlich von uns im trüben (chilenischen) Einheitsgrau und wieder einmal regnet es in Strömen. Ich gehe hinunter in die Küche, wo der bereits von Rosa - der Perle des Hauses - fertig gedeckte Frühstückstisch auf uns wartet. Ich schaue die Hofeinfahrt entlang nach Westen - das kann doch wohl nicht wahr sein: Die Sonne scheint aus allen Löchern, von grauem Himmel keine Spur. Das verstehe wer will, doch von nun an ist das ständige Wechselspiel aus Regen und Sonne unser täglicher Begleiter.  | 
    |
|  
       
  | 
     
       Nach 7 Tagen Luxus pur verlassen wir den "Gelegenheitskoch" Konrad und seine Familie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wir steuern die Wasserfälle von Petrohue, nahe dem Lago Llanguihue und dem Vulkan Osorno, an. Während einer kurzen Pause in einem kleinen Restaurant gießt es draußen erneut in Strömen. Als der Schauer vorüber ist, setzten wir unsere Fahrt am östlich Seeufer, zu Füßen des Vulkans, fort. Bestimmt eine traumhaft schöne Landschaft, wenn doch nur mal die Sonne ein wenig scheinen würde. Tags drauf erklimmen wir den Paso Puyehue, der uns hinüber nach Argentinien bringt. Irgendwie beschleicht uns das Gefühl von feuchter Kälte und kalten Gesichtern. Ach so, es ist bloß das "Niesel-Niesel-Nieselwetter"! Hinter dem Paß, endlich der erhoffte Wandel. Die Wolkendecke reißt auf und durch himmelblaue Lücken fallen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf uns herab. Gleichzeitig ist der Wind spürbar stärker geworden. Bis wir spätnachmittags bei sonnigem Wetter die "Argentinische Schweiz" rund um den Ort San Carlos de Bariloche erreicht haben, fegt er stürmisch übers Land und wirft unzählige Schaumkronen auf dem See Nahuel Huapi auf. Wir campieren ortsnah, denn wir wollen noch einige Wartungsarbeiten erledigen, bevor wir richtig nach Patagonien vorstoßen. Der nächste Tag überrascht uns freudig. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen, das Thermometer klettert, trotz der 800m Höhe auf über 30°C. Die Landschaft zeigt sich von ihrer schönsten Seite: Türkis-blaue Seen umgeben von teils schneebedeckten, weißen Bergen, unberührte Wälder in tief-dunkelgrün - Ausflugswetter! Wir umrunden den Llao - Llao - See, erblicken hier und da kleinere, sehr nett gelegene Lokale oder Cafés, die allesamt zum Verweilen und entspannen einladen. Es ist ein bißchen touristisch, aber eben nur ein bißchen, und noch nicht störend. Im Gegensatz dazu ähnelt Bariloche einem langweiligen schweizer Skiort ohne besonderes Flair. Einziger Vorteil: Man kann alles kaufen, besonders lecker die Schokolade nach schweizer Vorbild. Die ersten Schweizer, die hier die "Comuna Suiza" gründeten, brachten die helvetischen Rezepturen mit und bewahren sie noch heute.  | 
    |
|  
       
  | 
     
       120km südlich von Bariloche 
        stoßen wir dann endlich (wieder) auf die berüchtigte "Quarenta" 
        (Routa 40). Die Landschaft ist nun eintöniger geworden, die Anden 
        haben sich nach Westen weit von uns entfernt, sanft-hügeliges Steppenland 
        breitet sich um uns herum aus, der Wind bläst mächtig aus westlicher 
        Richtung von den entfernten Bergen herab. Unweigerlich zwingt uns die 
        wackelige Schräglage beim Fahren gegen den Seitenwind zu Höchstgeschwindigkeiten 
        von maximal 50km/h. Plötzlich sehe ich alles klar. Das genau ist 
        es, wovon ich unzählige Male zuvor gelesen und gehört und geträumt 
        hatte. Das ist die unendliche Pampa Argentiniens - wir haben es 
        erreichtet: Patagonien! An diesem Nachmittag müssen wir glücklicherweise 
        nur noch 50km über die Routa 40 bis nach Esquel fahren - und 
        es sind sogar 50 asphaltierte Kilometer. Was es tatsächlich bedeutet 
        "Routa 40 zu fahren", sollten wir erst 3 Wochen später 
        erfahren.   | 
    |
![]()  | 
     
       Noch keine 20 Jahre ist es her, da waren einige Örtchen entlang der heutigen Carretera nur per Flugzeug oder Boot erreichbar. Natürlich kann man deshalb nicht davon ausgehen, daß es sich um eine Asphaltstraße handelt, dennoch ist die geschotterte Piste von guter Qualität. Sie führt gleich durch mehrere Nationalparks hindurch, erklimmt steile Berghänge und schlängelt sich an tief eingeschnittenen Fjorden entlang, durch Wälder, über Wiesen und durch ungestörte Natur. Unterwegs treffen wir auf das Motorradfahrer-Paar Carmen (aus Österreich) und Frank (aus Bielefeld), die bereits seit 3 Jahren "auf Tour" sind. Sie empfehlen uns den Camping "von Roberto" in Coyhaique. Dort angekommen, begegnen wir weiteren Travellern. Ein 3er-Gespann aus Bayern ist auf 6 wöchiger Urlaubstour. Die 3 Männer sind auf 3 "Gummikühen" unterwegs (Gummikuh = BMW der alten GS-Serie mit Boxermotor) Das Skurrile an den Dreien ist, daß einer mit einem gebrochenen Fußknöchel Motorrad fährt und eine Gehstütze hinten an seinem Motorrad festgezurrt ist! Zur anderen Seite neben uns campiert das Schweizer Paar Erika und Christian Joos, die mit einem umgebauten Toyota - Landcruiser "auf Achse" sind. Wir verbringen ein schönen, lustigen, netten Abend, tauschen Erfahrungen und Tipps aus, bis wir gegen Mitternacht völlig durchgefroren in unseren Zelten (respektive Auto) verschwinden.  | 
    |
|  
       
  | 
     
       Nach 3 Tagen in Coyhaique nehmen wir die Reise wieder auf und folgen der Carretera Austral Richtung Süden. Wir durchfahren hügelig-bergige Landschaften mit ausgedehnten Tälern. Westlich sind die schneebedeckten Anden, namentlich Cerro Castillo unsere Begleiter. Spätnachmittags halten wir nach einem Plätzchen für unser Zelt Ausschau. In einer langgezogenen Flußschlinge haben sich am flachen Gleithang ein kleiner, treibholzgefüllter Sandstrand, eine grüne Wiese und ein schützendes Wäldchen ausgebreitet. Schnell erkenne ich die Genialität der Szenerie. Stand nicht ca. 500m zuvor ein kleines Häuschen am Wegesrand, deren Bewohnern dieses Stückchen Land gehören könnte? Wir machen Kehrt und fahren zurück. Vor dem Haus hängt die Frau gerade Wäsche auf die Leine. Wir stoppen vor der Hofzufahrt. Laut rufend frage ich die Frau, ob sie nicht einen guten Platz zum Campieren wisse. Sie kommt zu uns herüber gelaufen, wir quatschen ein paar Worte über die schöne Gegend und das Wetter. Dann sagt sie zu uns, wenn wir ein wirklich schönes Plätzchen zum Zelten suchten, dann sollten wir noch einige 100m weiter fahren, dort gäbe es eine kleine Wiese in Flußnähe, optimal windgeschützt durch ein kleines Wäldchen. Sie zeigt mit dem Finger in die Richtung, aus der wir gerade gefahren kamen. Das Flußwasser sei sehr gut, es gäbe genügend Treibholz zum Feuer machen, und überhaupt sei dieses Plätzchen das Paradies auf Erden! Wenn ich nicht noch auf dem Motorrad sitzen würde, wäre ich der Frau am Liebsten um den Hals gefallen: Haargenau diese Worte wollte ich von ihr hören! Nachdem das Zelt steht, sammle ich Treibholz zusammen, errichte 2 provisorische Holzstühlchen und schaue Ricarda beim Kochen zu. Ich werde das Gefühl nicht los, daß höchstens noch Bruce Chatwin in seinem Buch "Patagonien" dieses Plätzchen entdeckt und beschrieben haben könnte. Es ist wunderschön!  | 
    |
|  
       
  | 
     
       Weiter geht´s am nächsten Tag. Nach 70km biegen wir am Lago General Carrera von der Carretera Austral ab, unser Ziel heißt Los Antiguos in Argentinien, unmittelbar hinter der chilenischen Grenze gelegen. Dort treffen wir endlich auf Sibylle und Marco aus Zürich. Die beiden hatten uns Monate zuvor schon aus Japan angemailt, sie waren damals zufällig beim Internet-Surfen auf unsere Homepage gestoßen. Bereits damals hatten wir uns "irgendwo" in Südamerika verabredet. Nun stand dieses Treffen kurz bevor, wir waren sehr gespannt und gleichzeitig auch ein wenig aufgeregt. Nach so vielen Monaten und diversen Mails... In Los Antiguos haben sie es sich auf dem Camping Municipal gemütlich gemacht. Sie leisten dem "gestrandeten" englischen Motorrad-Paar Annette und John Gesellschaft, die bereits seit 2½ Wochen auf ein Ersatzteil aus England warten... Apropos warten: "Warte mal", meinte Ricarda nachdenklich, "war da nicht vor Monaten ein englisches Paar am "Mitad del Mundo" in Ecuador, das auch mit Motorrädern unterwegs ist?" "Ja stimmt schon", erwiderte ich ihr gelassen, "die hatten damals in Ecuador auf ihre Motorräder gewartet, die sie von Panamá aus verschifft hatten. Aber ich habe keine Ahnung, welche Motorräder sie fahren, und wie die beiden hießen? Außerdem ist das ja schon "ewig" her, und so langsam wie wir, ist sowieso niemand sonst unterwegs". Doch Ricardas Vermutung war goldrichtig. Es waren tatsächlich die beiden Engländer vom "Äquator". Zu sechst verbrachten wir 4 lustige Tage mit unzähligen "Benzingesprächen" (wie Marco zu sagen pflegte, wenn´s um technische Raffinessen und Motorrad-Details ging) und feuchtfröhlichen Bierabenden mit exquisiten Grill-Sessions.  | 
    |
![]()  | 
     
       Der Tag der Trennung kam. Sibylle und Marco fahren nach Norden, wir nach Süden, Annette und John bleiben traurig zurück (übrigens noch weitere 1 ½ Wochen). Anfänglich rollen wir parallel zur chilenischen Grenze Richtung Paso Roballo und stoßen später bei Bajo Caracoles wieder auf die "Routa 40". Von nun an ist die "Quarenta" so, wie wir sie aus unzähligen Erzählungen kennen: Eine breite Schotterpiste mit ausgefahrenen Fahrspuren, mal mehr, mal weniger "wellblechmäßig". Das wirklich fiese an der Routa 40 ist die Kombination aus extrem heftigen Seitenwind verknüpft mit losem, tiefem Schotterbelag. Einer der übelsten Abschnitte beginnt hinter Bajo Caracoles und zieht sich über 350km nach Süden bis zum kleinen - und gleichzeitig nächsten (!) - Ort Tres Lagos.  | 
    |
|  
       
  | 
     
       Bereits morgens um 8 Uhr sind wir abfahrbereit, denn der Seitenwind wird meist erst ab mittags unangenehm heftig. Erst einmal haben wir Glück. In den ersten 5 Fahrstunden können wir 270km relativ problemlos "runterreißen" und haben unser "Mindest-Tagesziel", die Estancia "Sibiria", erreicht. Doch da es noch nicht sehr spät ist, und es nur noch 80km bis Tres Lagos sind, entscheiden wir uns für das Weiterfahren. Noch weitere 30km läuft es zufriedenstellend, dann sind plötzlich die ausgefahrenen Spuren weg (wahrscheinlich von einem "Straßen-Scrabber" glattgezogen). Für Zweiradfahrer bedeutet das den "Weg durch die Hölle". Bis zu faustgroßen Wackersteinen liegen auf einer gleichmäßig plan gezogenen, ca. 20cm mächtigen Schotterschicht. Das Vorderrad findet in diesem Untergrund keinen Halt, so daß wir permanent angespannt und angestrengt die Lenkräder fest umklammern und geradeaus richten müssen. Unsere Geschwindigkeit reduziert sich auf höchstens 40km/h. Der Nachmittag schreitet voran, und mit ihm gewinnt der lästige Seitenwind an Kraft. Die Zeitabstände zwischen den sich häufenden, kleinen Pausen verkürzen sich. Endlich, endlich! In weiter, weiter Ferne können wir die ersten Häuser des Ortes Tres Lagos erkennen. Wir sind heilfroh und überglücklich, als wir endlich die Tankstelle (neben der man ziemlich windgeschützt zelten kann) erreichen. Der Blick auf die Uhr fällt ernüchternd aus. Mittlerweile ist es nach 16 Uhr geworden. Über 3 Stunden haben wir für die letzten 80km benötigt. Aber eigentlich zählt das jetzt nicht, entscheidend ist, daß wir diese Strecke einigermaßen glimpflich und ohne Zwischenfall geschafft haben.  | 
    |
![]()  | 
     
       Normalerweise sind die nächsten 
        120km bis nach El Chaltén am 3375m hohen Fitzroy-Massiv 
        kein Problem mehr, doch leider hatte es (sehr ungewöhnlich für 
        diese Jahreszeit) die ganze Nacht stundenlang geregnet. Die Piste ist 
        aufgeweicht, matschig und schlammig und immer wieder tauchen plötzlich 
        vor einem wassergefüllte Schlaglöcher jeder Größenordnung 
        auf. Macht Ricarda zu viele unliebsame Bekanntschaften mit den wässrigen 
        "Störenfrieden" dieser Schotterpiste, oder ist es 
        ein Materialproblem? Fakt ist, daß ihr Motorrad-Hinterteil plötzlich 
        wieder anfängt zu hüpfen wie ein Känguruh. Die Erinnerung 
        wird wach, an die letzten Tage kurz vor Mendoza, als schon einmal 
        der hintere Stoßdämpfer seinen Geist aufgegeben hatte. 
        Ein Blick auf den erst 6 Wochen "neuen" Stoßdämpfer 
        erklärt das Problem. Der Dämpfer ist undicht und das Öl 
        tropft, einem undichten Wasserhahn gleich, auf den Boden. Es dauert keine 
        10 Minuten, dann ist der Dämpfer leer. "Schöne Bescherung", 
        sind wir uns einig. Noch 30km bis nach El Chaltén. Der Ort stellt 
        für alle motorgetriebenen Fahrzeuge eine Sackgasse dar, wir müssen 
        diesen Weg auf jeden Fall auch wieder zurück fahren. Was ist plötzlich 
        mit meinem Motorrad los? Plattfuß, sandiger Untergrund, Schrauben 
        locker? Nichts dergleichen, nur ein winziger Öltropfen unter 
        meinem Stoßdämpfer verrät das bevorstehende Debakel!  | 
    |
![]()  | 
     
       Nach 2 Tagen brechen wir wieder 
        auf und quälen uns über 200 schotterige Kilometer bis nach El 
        Calafate. Dort beziehen wir Stellung auf einem "offiziellen" 
        Campingplatz und lernen gleich 8 andere Motorradfahrer und 6 
        weitere Radler kennen. Auch Franky ist wieder mit von der Partie. 
        Abends geht es lustig und lebhaft zu, während wir tagsüber versuchen, 
        Ersatzstoßdämpfer zu organisieren. An einem Tag schwingen wir 
        uns abermals auf mein "defektes" Motorrad und fahren zum 80km 
        entfernt gelegenen Perito 
        Moreno - Gletscher. Vis-a-vis der 60m hohen, täglich bis 
        zu 2m nach vorn schiebenden, Gletscherwand stehen wir auf sicherem 
        Terrain und schauen fasziniert zu, wie riesige, hausgroße Eisschollen 
        bzw. Eisberge in den See stürzen. Unter lautem Getöse zieht 
        dieses beeindruckende Naturschauspiel die Touristen in seinen Bann.  Doch was wir dort noch alles 
        erlebt haben, ist eine andere Geschichte...  | 
    |