30.07. - 09.08.2002: El condor paso (Torsten)

Ab Lima lassen wir uns südwärts von der nebelig-grauen Küste leiten. Am Nachmittag erreichen wir Pisco, und - oh Wunder! - die Nachmittagssonne blinzelt durch die Wolkendecke und beschert uns angenehme 17°C. Wir steuern die "Posada Hispaña" an, ein besseres Hotel mit 2-2½ Sternen. Die Zimmer sind nicht sehr groß, dafür aber nett und gemütlich eingerichtet, das private Bad ist tadellos. Ähnlich groß/klein wie die Zimmer ist auch die Rezeption. "Gibt es einen Innenhof für die Motorräder?", möchte ich wissen. "Nein, so eine Parkmöglichkeit gibt es nicht, aber hinter der Rezeption könnt ihr die Motorräder abstellen". Ich schaue mich um: "Ähh, wo bitte genau?" "Na hier!". Ach so, jetzt sehe ich es auch! Ich inspiziere die 1m x 2,3m große/kleine Ecke hinter des Rezeption. Kurze Überlegung: Lenkerbreite 80cm, Heckbreite ca. 40cm (ohne Koffer). Aha, vielleicht ein Moped vorwärts, das andere rückwärts, mit "um die Ecke heben", ja könnte knapp passen! Der zweistufige Eingang zur Rezeption "mutiert" dagegen zu "unwichtig"! Nach knapp 30 Minuten ist alles verstaut und der Besitzer versichert uns zuversichtlich: "Hier passiert nichts, die Rezeption ist 24h am Tag besetzt." Beruhigt nehmen wir erst einmal eine heiße Dusche, bevor wir zum Abendessen schreiten.

Pisco selbst bietet - (erneut) oh Wunder! - eine Fußgängerzone. Auf einer Länge von knapp 90m (!!!) drängeln sich 5-7 Restaurants, 3 Internet-Cafés, 3 Bars, diverse Ramsch- und Nippes-Läden, mehrere Souvenirgeschäfte und bis ca. 1:00 Uhr nachts mindestens 500 Leute wie Sardinen in der Dose. Die Nachbarstraßen sind dagegen beinahe wie leergefegt. (Allerdings, ein bißchen "Straße fegen" wäre hier durchaus mal angebracht).


Am nächsten Tag fahren wir mit einem "Colectivo" (die Motorräder sind ja mit viel Liebe und Mühe verstaut worden) ins 20km entfernte Paracas. Von dort chauffiert uns ein Taxifahrer durch den gleichnamigen archäologischen Nationalpark. In der Küstenwüste existierte von 1000 v.Chr. bis ca. 200 n.Chr. die Kultur der Paracas. Sie lebten in ausgehobenen "Wohngruben", die mit Dächern versehen waren. Ebenfalls wurden unzählige Begräbnisstätten in gleicher Bauweise gefunden, die als "Paracas-Cavernen" klassifiziert wurden. Im kleinen Museum am Parkeingang machen wir uns weiter kundig. In einer Vitrine sind Schädel ausgestellt, die ovale Deformationen aufweisen. Offensichtlich galt bei den Paracas ein "nach-hinten-oben-langgezogener" Kopf als schön, ästhetisch oder klug.

Der Taxifahrer folgt noch ca. 10 Minuten der durch den Park führenden Asphalt-Straße, dann biegt er plötzlich nach rechts ab, irgendwo querfeldein mitten über den harten, verfestigten Sandboden. Kurze Zeit später erreichen wir eine versteckte Lagune mit Flamingos, Pelikanen und Seemöwen. Den Rest des Nachmittags kurvt er ortskundig mit uns quer über die sandige, wüstenähnliche Halbinsel. Wir haben den Trip und das ausgegebene Geld dafür nicht bereut.

Der nächste Morgen beginnt wie der vorherige völlig ungewöhnlich: Pisswetter in Pisco! Doch kaum haben wir die Stadt keine 20km hinter uns in Richtung Landesinnere gelassen, bessert sich das Wetter zunehmend. Schnurgerade läuft nun das Teerband durch eine ebene, unendlich weit scheinende Sandwüste, bis wir nach ca. 70km die Umgebung der Stadt Ica erreichen. Es wird grüner, und was sind denn das für "Stecken" auf den Feldern? "Hier sieht´s ein bißchen aus wie in der Pfalz" funke ich Ricarda durch unsere Helm-Kommunikationsanlage zu. "Wir sind in Perus Weinanbaugebiet gelandet!" Kurz vor Ica steuern wir eine "Bodega" an. Wir lassen es uns nicht entgehen, eine peruanische Weinkellerei genauer unter die Lupe zu nehmen. Es ist überhaupt nichts los, "out of season". Dennoch sitzen einige Arbeiter herum, sie sind sehr freundlich, hilfsbereit und auskunftswillig.

Die Trauben werden in einem großen Bassin noch mit Füßen zerstampft. Anschließend kommt der Saft in zwei große Destillations-Anlagen. Am Ende des spiralförmigen Rohres tröpfelt dann der durchsichtige Pisco mit bis zu 45% Alkoholgehalt in große Steinamphoren. Natürlich lassen wir uns zu einer winzigen "Pisco-Probe" am Vormittag hinreißen, und kaufen noch eine Flasche zusätzlich. Der Pisco, der hier rund um Ica erzeugt wird, ist Hauptbestandteil des peruanischen Nationalgetränks "Pisco-Sour"!

Ica läßt uns kaum los. Nachdem es am frühen Nachmittag sonniger geworden ist (nicht wegen unserer Pisco-Verköstigung!), entscheiden wir uns doch noch für den kleinen 6km-Abstecher zur Wüstenoase "Huacachina". Eine prima Idee: lazy verbringen wir zwei sonnige Stunden in einem "Open-Air-Restaurant".

Nun wird es aber höchste Zeit, die letzten 70km bis nach Nazca in Angriff zu nehmen. 26km vor Nazca steigt die Straße leicht an, wir erreichen eine Art Plateau auf 500m Höhe. Auf diesem Plateau müssen sich im 6. - 8. Jahrhundert n.Chr. (zur Zeit der Nazca-Kultur) "merkwürdige" Dinge zugetragen haben: In einem Gebiet von ca. 700km² gibt es heutzutage die Nazca-Linien, oder kurz "die Geoglyphen" zu bewundern. Es sind über 100 geometrischen Figuren, Flächen und Spiralen, etwa 1000 gerade Linien und über 30 große tier- und menschenähnliche Abbildungen in die fast regenlose Pampa "gezeichnet" worden. Feinsäuberlich, akkurat und exakt haben die "Urheber" dieser Linien die dunkelbraune, oxidierte Bodenoberfläche (meist faustgroße, rundliche Steine) abgetragen und zur Seite gelegt, so daß die hellere gelb-sandige Schicht zum Vorschein kam. Die so entstandenen "Furchen" sind daumen- bis fußtief, oftmals nur 20cm breit. Trotzdem "zeichneten" die Meister-Grafiker
25 - 200m (!) große Figuren, die in ihrer ganzen, faszinierenden, einmaligen Ausdehnung nur aus der Luft zu erkennen sind. Der Flug über die Geoglyphen.

Zusätzlich kann man in Nazca noch weitere interessante, archäologische Sehenswürdigkeiten besichtigen: Die Aquädukte von Cantayoc sowie den Friedhof bei Chauchilla mit seinen unzähligen Mumiengräbern der Nazca-Kultur.

Weiter geht´s. Heute sind 405km Panamericana entlang der Küste abzuspulen. Die ersten 150km und die letzten 50 km sind nicht sonderlich erwähnungsbedürftig, wohl aber die 200km zwischendrin. In 2 ausgedehnten, mehrere Kilometer breiten, und offensichtlich sehr fruchtbaren Flußmündungen zieht sich die Panamericana bis zu 7km ins Landesinnere zurück. Wir durchfahren alte Olivenhaine, Mais-, Kartoffel-, Gemüsefelder und grüne Viehwiesen. Irgendwann landen wir wieder am Meer und die Küstenstraße steigt an. 150 bis 200m hoch oberhalb des Pazifiks schlängelt sie sich nun an den senkrecht zum Meer abfallenden Felsen entlang. Spätnachmittags erreichen wir endlich den (vorerst letzten) Küstenort Camaná.

 

Endlich verlassen wir die nebelige Küste, die Straße biegt von südöstlicher in nordöstliche Richtung, diesmal endgültig ins Landesinnere, ab. Nach weniger als 15km überschreiten wir die 1000m-Höhenmarke und das lang ersehnte Sonnenlicht treibt uns (Freuden-)Tränen in die Augen, so daß wir die eingestaubten und schon fast vergessenen Sonnenbrillen aus den Taschen ziehen müssen. 80km weiter erreichen wir den kleinen, unbedeutenden Ort El Alto und biegen von der Teerstraße nach Norden auf eine Schotterpiste ab.

Völlig einsam und verlassen führt sie uns die nächsten 3½ Stunden in Serpentinen und an weißer Vulkanasche vorbei, zuerst nach Huambo und dann weiter nach Cabanaconde, an den oberen Südrand des Colca-Canyons. Im kleinen, typischen Andendörfchen Cabanaconde leuchtet uns ein nagelneu aussehendes Hotel entgegen. Ricarda wiegelt gleich ab: " Bestimmt viel zu teuer", woraufhin ich entgegne: "Fragen kostet ja nichts"! Wenige Minuten später kommt sie leicht grinsend zurück.

 

Das Hotel hat erst Mitte Juli 2002 eröffnet, die Zimmer sind superklasse eingerichtet, mit Privatbad und inkl. Frühstück für bezahlbare 7 US-$ / Person. Na also: "Fragen kostet nix"! Wir bleiben 2 Tage in dem wunderschönen "Kuntur Wassi" (in Quetschua: Kuntur = Kondor, Wassi = Haus). Abends präsentiert uns der Koch Marcos eine Spezialität des Hauses: Alpaka-Filet! Sehr lecker, mit nichts zu vergleichen (ähnlich wie Straußenfleisch mit nichts zu vergleichen ist, wer es schon einmal probiert haben sollte).

Am nächsten Morgen fährt Marcos mit uns im Bus die 13km zum "Cruz del Condor". Gegen 8:00 Uhr tummeln sich schon 150 andere Touris an dem Aussichtspunkt. Es dauert noch knappe 30 Minuten, dann steigen die ersten "Könige der Anden" majestätisch in den Himmel hinauf.
9 Kondore ziehen an diesem Morgen flügelschlaglos in der Thermik ihre Kreise über die schaulustige Schar von Touris hinweg. Die Vögel, zur Unterordnung der Geier gehörend, erreichen Flügelspannweiten bis zu 3,20m und können bis zu 11kg schwer werden. Von den thermischen Aufwinden lassen sie sich bis zu 5000m in die Höhe tragen, weshalb der Kondor in früheren Kulturen als heiliges Tier und Bote zur "Oberen Welt" verehrt wurde.

Die Weiterfahrt auf der staubig-schotterigen Piste am Südrand des Canyons entlang beschert uns immer wieder spektakuläre Aus- und Einblicke über die unendlich vielen terrassierten Hänge im Canyon, die bereits zu Inkazeiten angelegt wurden. Der Colca-Canyon entpuppt sich für uns als eines der großen "highlights" unserer bisherigen Reise!

Der Weg ins 150km entfernte und 2360m (niedrig) gelegene Arequipa führt zunächst einmal über Chivay (Ende der Colca-Schlucht) und weiter über den grob-steinwüstenartigen 4886m hohen Chuchura-Paß chuchura-paß. Vorbei an trubiditischen Gesteinslagen geht es wieder hinunter auf 4000m. Schon von Weitem erkennen wir am Horizont den bilderbuchmäßigen Vulkan "Misti" (5821m). Ab hier "schießt" eine neue "Racing-Piste" die letzten 80km um den 6075m hohen Vulkan "Nevado Chachani" herum, direkt nach Arequipa hinein.

 

Anfänglich finden wir in der Stadt kein passendes Hostal, in dem wir die Motorräder parken können. Schließlich ergibt sich eine Möglichkeit für die Motorräder, aber leider ist für uns kein Zimmer mehr für die erste Nacht frei. Kurze Debatte: O.k., wenn wir wollen, können wir unser Zelt auf der Dachterrasse aufstellen, für umsonst! Das kommt uns sehr gelegen, so müssen wir nicht länger weitersuchen. Wir können uns also schon bald an diesem Abend mit den Freunden aus Deutschland treffen, derentwegen wir "so zügig" durch Peru gerauscht sind. Wir verbringen einige schöne Tage in der Stadt, finden uns regelmäßig mittags zum "Käse-Schinken-(Kunz)Wurst-Sandwich-Essen" in der (deutschen?) Bäckerei wieder und besichtigen eines Vormittags das "Convent Santa Catalina". Das Kloster ist eine "Stadt in der Stadt", jedoch idyllisch, ruhig, verwinkelt, schön. Ca. 90% sind der Öffentlichkeit zugänglich, in dem verbleibenden Rest lebten 1997 noch 35 Nonnen (von einstmals 150 Nonnen und 400 Dienstmädchen).
   
   
   
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