12.02. – 24.03.2004: Brazil, parte um (sprich: brasiu, partschi um - "Brasilien, Teil 1") (Torsten) | |||
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Wir haben uns entschieden, Santa Cruz in Bolivien mit der Einsenbahn Richtung Brasilien zu verlassen. Dafür gab es 3 Gründe: 1.) die Hälfte dieser Strecke (durch Boliviens Chiquetanía) waren wir bereits 1 Jahr zuvor schon abgefahren; 2.) der andere Abschnitt dieser Strecke soll ziemlich schlecht und sehr staubig sein – und wir haben ja in Argentinien eine Straßenbereifung aufziehen lassen; 3.) die Kombination Motorrad & Eisenbahn ist für uns eine neue Erfahrung, die wir ausprobieren wollen... Morgens um 9:00 Uhr stehen wir an der Gepäckverladestelle der Eisenbahn der Millionenmetropole Santa Cruz. Von hier fährt täglich 1 (!) Zug Richtung Brasilien, konkret bis zum Grenzort Quijarro auf bolivianischer Seite. |
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Das sperrige Gepäck – also auch unsere Motorräder – werden per Kilogramm-Preis abgerechnet. So kommen wir nicht drumherum, die Motorräder irgendwie auf die knapp 0,8m² große (kleine) Waage zu buchsieren. Da frag ich mich schon: "Was ist wohl schwieriger? Die Motorräder die 5 Stufen auf die Laderampe (wo die Waage steht) hinauf zu hieven, oder sie auf der viel zu kleinen Waage zu plazieren?" Doch alle meine Überlegungen und Bedenken sind völlig unangebracht, denn der bolivianische Sinn für provisorisches Handeln und Improvisieren blüht bei dieser Herausforderung geradezu auf. 4 - 5 Männer greifen schnell zu, von irgendwo (neben den Schienen) wird ein 2m langes Brett hergezaubert und erst über die Stufen und anschließend auf die Waage gelegt. Schon schieben wir das erste Motorrad zum Wiegen hinauf. | ||
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In weniger als einer ¼ Stunde ist alles erledigt, die Motorräder samt Koffern und Gepäck sind gewogen und wir stehen vor dem Gepäckwaggon. Mittlerweile habe ich meine Klamotten – soweit möglich – bei Ricarda in Obhut gegeben, denn sie hält ständig ein waches Auge auf unsere Wertsachen und Fotoausrüstung. Endlich wird die "Ware" verladen. Bei 'schlappen' 31°C (morgens um 9:30 Uhr) gerate ich jedenfalls mächtig ins Schwitzen. Zusammen mit den "Verpackungs-Jungs" der Bahn schiebe ich erst Ricardas Motorrad in Fahrtrichtung längs in den Waggon. Rechts und links von je einer Bettmatratze flankiert, steht das Motorrad ziemlich in Waggonmitte. Den Handbremshebel fixieren wir in der Stellung "Vollbremsung" mit Isolierband. Da wir das Motorrad an dieser Stelle im Waggon nicht weiter verzurren können, fliegen nun ca. 20 alte Autoreifen rund um das Motorrad herum und klemmen es so fest zwischen die Matratzen. | ||
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Mein Motorrad schieben wir nun rechtwinklig davor und können es vorne und hinten an den (einzigen im Waggon) eingelassenen Fußbodengittern festzurren. Seile hatten wir vorsorglich gekauft, denn 2 Tage zuvor hatten wir den Gepäckwaggon schon einmal genauer inspiziert. Gegen 11:00 Uhr nicken wir uns alle schweißdurchtränkt, aber zustimmend entgegen: Nach 1½-stündiger "Hau-ruck-und-schieb-und–drück-Aktion" sind die Motorräder sicher verladen. Mit nur 15-minütiger Verspätung (immerhin verlassen gut 2-3 Züge täglich den Bahnhof von Santa Cruz) setzt sich der Zug langsam um 13:45 Uhr in Bewegung, jedoch für nur 5 Minuten, bis zum ersten Zwangs-Stopp! Ich lehne mich aus dem Fenster und sehe, wie 5 Eisenbahnmänner auf den Gleisen neben der Zugmaschine stehen und armewinkend herumlamentieren. Dann geht´s weiter – für ungefähr 3 Minuten – bis wir auf einem "Eisenbahn-Reparatur-Gelände" erneut halten. 2 Mechaniker mit einem riesigen Autogen-Schutzgas-Schweißgerät im Schlepptau kommen herbeigeeilt und "braten" irgendwelche Eisenteile wieder an der Zugmaschine fest. "Na das kann ja noch 'ne tolle Fahrt geben", murmele ich so leise vor mich hin, um Ricarda nicht unnötig zu beunruhigen. Doch dann geht´s endlich richtig los: Gerumpel, Gehoppel, Krachen und Quietschen, die Waggons scheppern hin-und-her, daß mir Hören und Sehen vergeht. Ich halte mir nur die Augen zu und bereue schon nach wenigen Minuten, daß wir diese Rumpeltour unseren Motorrädern zumuten. Mich wundert´s jedenfalls nicht mehr, daß regelmäßig einmal pro Monat von einer Zugentgleisung in der Zeitung berichtet wird... |
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Als wir das Fahrticket gekauft haben, mußten wir unbedingt ein Ticket für den "Pullman-Wagen" (1. Klasse für Touristen) nehmen, angeblich mit Klimaanlage und der Möglichkeit, Speisen und Getränke unterwegs kaufen zu können. Kurzum, die Klimaanlage besteht darin, das Fenster öffnen und sich hinauslehnen zu können, und Speisen und Getränke werden nach jedem Zughalt von den "fliegenden" Verkäuferinnen angeboten. Klasse "Service", denn so gibt es immerhin frische Grillspießchen, oder frischen Gelier-Wackelpudding (in alten Joghurtbechern), Nüsse, Orangen und andere frische Früchte.
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Grenzübertritt
nach Brasilien: Auf bolivianischer Seite – wie gewohnt – keine
Probleme. In Brasilien fordert diesmal niemand eine Gelbfieber-Impfung,
nicht einmal unsere Reisepässe, denn es gibt keine
Grenzkontrolle an der Grenze. Dafür müssen wir in die 6-8 km
entfernt gelegene Stadt Corumbá zur "Policia Federal".
Dort angekommen, sagt man uns, daß es hier keine Stempel gäbe,
wir müssen zur Polizei-Nebenstelle am Bus-Terminal
fahren. Dort bekommen wir dann endlich unsere offiziellen Einreisestempel.
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Brasilia, als geodätischer
Mittelpunkt Brasiliens, markiert gleichzeitig unseren nördlichsten
Punkt auf unserer Reise durch das fünftgrößte Land der Erde.
Von hier schlagen wir in den nächsten 5 Tagen eine südöstliche
Richtung ein (wie bereits erwähnt, Brasilien ist groß!),
um noch rechtzeitig zum Karneval in Rio de Janeiro zu sein.
Landschaftlich, wie auch wettermäßig wird die Strecke abwechslungsreicher: Mehr Hügel und Täler, mehr Regen und Gewitter! Einige Mal erwischt uns der Regen so schwer, daß wir bis auf die Haut naß sind, und daß wir sogar Wasser in den Alu-Koffern, im Foto-Tankrucksack und im Notebook haben. An genau so einem Regentag fahren wir Rosenmontag nachmittags in Rio de Janeiro ein. Zu unserem Glück herrscht relativ wenig Verkehr, denn die Brasilianer straucheln in der Karneval-Woche meist ekstatisch im Karneval-Fieber umher... |
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Aschermittwoch
Abend verabreden wir uns mit dem dänischen Paar Pia & Poul,
die wir ja bereits in Argentinien kennengelernt hatten und überraschender
weise in Bolivien nochmals begegnet sind. Beim letzten Treffen in Bolivien
hatten wir uns salopp "zum Karneval in Rio" verabredet. Nun sitzen
wir bei lauen Abendtemperaturen unter einem 12m² Sonnenschirm an der
Copacabana. Die beiden erzählen begeistert von den
Karnevalsparaden der vergangenen Tage im Sambódromo.
Langsam aber sicher machen sie uns mit ihren nicht-enden-wollenden Geschichten
eine "lange Nase". Aber wenn wir bis Samstag blieben, dann –
so schärfen sie uns ein – müssen wir uns noch unbedingt
Karten für die "winners parade" besorgen.
So viel haben wir in der ersten gemeinsamen Stunde vom Karneval erfahren,
ich kann´s fast nicht mehr hören... Außerdem muß ich dringend auf die Toilette. Drinnen im Lokal begegnet mir der Ober, ich bestelle schnell nochmal 2 Biere für Poul und mich. Diese 2 Bierchen läuten nicht den Anfang vom Ende ein, sondern das Ende unserer "Zurechnungsfähigkeit", denn in den nächsten Stunden diskutieren wir über Politik, lamentieren über das "Langzeit-Reisen" und die Vorteile der deutschen, runden Schuko-Steckdosen gegenüber den (dreieckigen) Modellen in Dänemark. |
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So schnell wie die Zeit verrann, rann auch das Bier unsere Kehlen hinunter. Als wir morgens gegen 2:30 Uhr dem Drängen unserer "besseren Hälften" nachgeben, nun endlich ins Hotel zurück zu fahren, müssen die beiden Damen eine Rechnung über 4 Coca Cola, 1 Flasche Mineralwasser (mit 2 Gläsern) und 26 (!) Bieren bezahlen... Kurz vor unserem Hotel konnte ich Poul noch zu einem Käsesandwich und einem "letzten Bierchen" überreden. Im Obstsaft-Laden, einen Block weiter die Straße entlang, gibt´s noch jede Menge davon – und zwar 24h / Tag! Jedenfalls bin ich um 4:30 Uhr total abgefüllt und wage erst abends nach 18:00 Uhr den ersten Schritt (unter Qualen) aus dem Bett heraus. Tage später erfüllt mich dann allerdings nochmals eine innere Genugtuung, als wir per e-Mail erfahren, daß auch Poul bis nach 18:00 Uhr komatös im Hotelbett vor sich hin siechte. Ich hatte nämlich schon befürchtet: "Der Däne könne mehr Bier vertragen, alter Schwede!" Freitag besorgen wir uns die Eintrittskarten für die "Winner parade Carnaval 2004". Es ist ein Erlebnis der besonderen Art und so völlig anders als all das, was wir bis dato in Brasilien (und auf unserer Reise) erlebt haben. Das Eintrittsgeld von immerhin 35€ haben wir zu keinem Moment bereut.
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Nach mehr als 1 Woche verlassen wir Rio in südlicher Richtung. Noch 1½ Tage lang ist der Himmel bedeckt und es nieselt häufig entlang der Küste. Doch als wir das nette, kleine Städtchen "Paraty" erreichen, bessert sich das Wetter zusehends. Auch in den nächsten Tagen verwöhnt uns die Sonne entlang dieser traumhaft schönen Küstenlandschaften. Eines Nachmittags stelle ich an Ricardas Motorrad einen undichten Simmerring an der Vorderradgabel fest. Zwar tropft nur sehr wenig Gabelöl heraus, dennoch entscheide ich mich, den Simmerring zu wechseln. Mit den bescheidenen Werkzeugen, die mir zur Verfügung stehen, benötige ich dafür glatt einen ganzen Tag, aber immerhin ist es auch das erste und einzige Mal, daß ich eine Vorderradgabel auseinander nehmen muß. Da wir nun einmal in diesem Küstenort Peruíbe "gestrandet" sind, versuchen wir noch das Beste aus diesem Örtchen herauszuholen: Immerhin gibt´s gleich um die Ecke frischen Fisch (für das abendliche Dinner). Auf dem Rückweg vom Fischverkäufer bemerken wir 3-4 aufgebrachte Menschen, die mit einem Polizisten diskutieren. Als wir näher kommen, sehen wir, worum es geht: Die Leute haben im Ort ein Faultier aufgelesen, und wissen nun nicht genau, wohin damit. Der Polizist übernimmt die Aufgabe, das Tier im nahegelegenen Nationalpark wieder auszusetzen. Als wir nun so unbeteiligt daneben stehen, fragt uns der Polizist, ob wir gerne mitfahren wollen. Natürlich wollen wir...
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Am nächsten Tag verlassen wir zwar bei Sonnenschein die Küste, doch bereits 12 inländische Kilometer weiter beginnt es schon wieder zu regnen... Bei schmuddeligstem Regenwetter quälen wir uns durch die (vermutlich wunderschöne) Serra do Mar an Curritiba vorbei bis hinunter nach Joinville, in die sehr deutsch anmutende Provinz Santa Catarina. Dort besuchen wir Anne und Wilfred mit ihren Kindern. Sie sind Deutsche, leben allerdings schon in 4. oder 5. Generation in Brasilien. Bei ihnen bekommen wir als erstes ein "deutsches" Abendessen, mit Brot, Käse, Wurst, Gürkchen etc...lecker-lecker! Später am Abend überzeugen sie uns, unsere Reiseroute abermals zu ändern. So stechen wir von Joinville erst einmal 700km nach Westen zu den Iguazu-Wasserfällen, und knattern anschließend wieder zurück an die Küste nach Floreanôpolis auf die Insel Santa Catarina.
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Irgendwo auf dem Weg zu den Iguazu-Fällen versagt urplötzlich nachmittags mein Motorrad seinen Dienst. Es dauert eine Weile, bis ich heraus bekomme, daß die Benzinpumpe nicht mehr funktioniert. Nach 2 Stunden probieren, ausbauen, tauschen entdecke ich den Defekt: Ein Spannungskabel unmittelbar an der Pumpe ist durchkorrodiert und abgebrochen, was allerdings durch die noch vorhandene Kabelisolierung erst nicht zu erkennen war. Die Kabel isoliere ich ab, die Enden löte ich zusammen und baue die Pumpe wieder in den Benzintank ein. Nach knapp 3-stündiger Zwangspause kann die Fahrt weitergehen. Im kleinen Örtchen "Francisco Beltrao" werden wir berühmt, nachdem wir nachmittags ein Zeitungsinterview gegeben haben. Am anderen Morgen versammeln sich der Chefredakteur der Zeitung, die Hotelbesitzer, mehrere Hotelgäste und 3 weitere Männer am Frühstücksbuffet, um uns Gesellschaft zu leisten. Die 3 Männer sind gekommen, um mal wieder "richtiges deitsch" zu sprechen und zu hören. 70km nördlich der Iguazu-Fälle besuchen wir in der Stadt Matelândia Eliete und Joâo mit ihren Kindern. Die Familie ist so nett und herzlich, daß wir gleich mal eine Woche bleiben und Ricarda endlich leckeren Apfelstrudel backen kann! Außerdem scheint wieder jeden Tag die Sonne, das gefällt uns am besten. |
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Am ersten Abend stellt uns Joâo gleich seinen Freunden vor, schließlich ist er der Präsident des örtlichen Motorrad-Clubs. Eliete ist Lehrerin und arrangiert gleich am 2. Morgen ein Treffen mit uns in ihrer Schule. Zur ersten großen Pause stehen wir vor dem Schulgebäude und schieben unser Motorrad mitten in die Pausenhalle und stellen es vor einer großen, an der Wand hängenden, Weltkarte ab – "Perfektes Ambiente", denke ich so für mich. Erst einmal erzählen wir von unserer Reise: Wieviele Tage, wieviele Länder, wieviele Kilometer, woher, wohin, warum, etc. Danach beantworten wir die, erst zögerlich, gestellten Fragen der Schüler. Die Mädchen wollen z .B. wissen, ab wann Jungs in Deutschland eine Freundin haben; und die Jungs interessieren sich ausschließlich für technische Fragen rund ums Motorrad. Die ganzen Gespräche finden in einem Mixmax aus spanisch und englisch statt, denn des Portugiesischen sind wir (leider) nicht mächtig. Aus dem anfänglich gedachten 20 – 30 minütigen Gespräch entwickelt sich für alle Beteiligten ein regelrechtes Ereignis, daß die Schulleiterin erst nach über 1 Stunde (sehr ungern) beendet. |
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Tags drauf steht nun endlich der Ausflug zu den Iguazu-Fällen auf dem Programm. Die Quelle des Rio Iguazu hätten wir mit ein wenig Glück schon in der Serra do Mar sehen können, wenn es dort tage zuvor nicht so heftig geregnet hätte. Nun, 1320 Flußkilometer weiter ist das Getöse der Wasserfälle schon von weitem zu hören. Zugegeben, anfänglich sind wir ein wenig enttäuscht, hatten wir doch einige Jahre zuvor schon die "Victoria-Fälle" in Zimbabwe kennengelernt. Doch bald sind auch wir begeistert und beeindruckt von der Größe und den immer wieder neu zu entdeckenden Wasserfällen, Naturlandschaften und umher fliegenden Vögeln (Tukane, Papageien,...). Natürlich haben wir diesen Besuch nie bereut, denn schließlich kann man vielerorts sehr nahe an die tosendenden, 60-80m in die Tiefe stürzenden Wassermassen herangehen - sogar so nah, daß man von der aufsteigenden Gischt am Fuße einiger Wasserfälle nach wenigen Minuten tropfnaß ist. Zu schnell ist die eine Woche bei Eliete und Joâo vergangen, doch wir müssen weiter. Erneut durchqueren wir über 700km lang die Provinz Santa Catarina, bis wir wieder zurück an der Küste, diesmal in Floreanôpolis, ankommen, wo wir (in der nächsten Story) "alte Bekannte" wiedertreffen... |
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