03.11. – 10.12.2003: Patagonia (Torsten)

Bevor ich darüber berichte, muß ich noch einige Sätze über Feuerland zum Besten geben:


Wir sind erneut herzlich bei Judith und Carlos in Rio Grande aufgenommen worden. Gleich am ersten Nachmittag kutschieren sie uns in den "Club Nautico".
Dem "Gespött" vieler Freunde zum Trotz standen sie unberührt in der Ecke, so wie wir sie verlassen hatten: Der rote "Papagayo" und das gelbe "Llamacito" – unsere zwei treuen Motorrad-Weggefährten.

Anfänglich verbirgt eine dicke Staubschicht die original Motorradfarben, doch wir haben sie sofort als die unsrigen identifiziert. In den nächsten 4 Tagen schrauben, richten und erneuern wir diverse Teile, die wir in unserer mitgebrachten 15kg-Postpaket-Kiste transportiert haben:

2 neue Lampenhalterungen, 2 Gepäckbrückenhalter mit 2 topcase-ähnlichen Hecktaschen, Luft-, Ölfilter, Bremsbeläge, Kettenspray, Kupplungszug, 4 neue Ritzel, Kotflügelverlängerung, Kotflügeltaschen (Fenderbags der Fa. Touratech), Kofferverstärkungsplatten, Motorrad-Faltgaragen (Schutzcover), Schrauben und andere Kleinteile.

Wieder einmal bekochen uns Judith und Carlos gnadenlos, z. B. mit Pollo Naranja und schwarzen Bohnen mit Molletes, oder mit "Carne con hongos y crema".
An einem Sonntag fahren wir mit Alberto "hinaus" aufs Land. Er zeigt uns eine Seite Feuerlands, die wir so noch gar nicht gekannt haben, wild, urig, romantisch, ursprünglich – schön. Natürlich machen wir ein Asado im Wald, so, wie sich´s gehört!

Nach 9 Tagen Rio Grande auf Feuerland und fast 8-monatiger Unterbrechung ist es soweit. Wir setzen unsere Reise fort.

 

 

 

Der erste Tag fängt schon gleich super an, um 5 Minuten verpassen wir die Fähre von der Insel Feuerland auf den Kontinent – nach Patagonien. Leider ist nun Ebbe und wir müssen 3 Stunden warten. Erst abends gegen 20:30 Uhr geht die nächste Fähre. So wird es nach 21:00 Uhr, bis wir uns in Patagonien auf den Weg machen können. Es ist das erste Mal, daß ich die Backpacker und Bustouristen beneide, die sich nun für 2 Stunden in den beheizten Bus nach Punta Arenas setzen können, und sich nicht um den Einbruch der Dunkelheit, die 4°C Außentemperatur und den unabläßlich blasenden Wind kümmern müssen.

Patagonien erstreckt sich von Süd nach Nord über die 3 argentinischen Provinzen "Santa Cruz", "Chubut" und "Rio Negro" sowie den südlichen Teil Chiles, von 55 Grad südlicher Breite bis etwa 39 Grad südlicher Breite überspannt es fast 2000km. Im Westen greifen Fjorde tief in die seenreichen, vergletscherten Anden hinein, die am Cerro Valentín 4058müNN erreichen. Der im Regenschatten des Gebirges liegende östliche, und überwiegend zu Argentinien zählende Teil, stellt eine leicht nach Osten abfallende, ausgeprägte Tafellandschaft dar.
Zum Vergleich: Buenos Aires liegt etwa auf gleichem Breitengrad wie Kapstadt (Südafrika) oder Sydney (Australien) und nochmals 1000km nördlich von Patagonien entfernt. Projezierte man Patagonien auf die Nordhalbkugel, reichte es von Madrid bis Südschweden.

In diesem Landesteil kann man alle 4 Jahreszeiten erleben, und zwar innerhalb eines Tages an einem Ort. Das Wetter ist so unberechenbar und launisch, so kann dem frühlingshaft-sonnig, wolkenlosen Vormittag ein mittäglicher Herbststurm folgen (wo kamen eigentlich plötzlich die vielen Wolken her?), der den Nachmittag mit Hagel- und Graupelschauern auf winterliche 3°C abkühlt. Später läßt der Wind nach – plötzlich Windstille – und die letzten, bis tief in die Nacht hinein, scheinenden Sonnenstrahlen verleihen dem Abend eine sommerliche Atmosphäre, in der man gerne noch dem Knistern des Lagerfeuers lauscht.

So oder so, der beharrlich stürmende Wind macht´s aus. Häufig ist es so heftig windig, daß beim Pinkeln (natürlich immer MIT dem Wind) im Windschatten des Körpers so starke Verwirbelungen entstehen, daß mir doch tatsächlich einige "Tropfen" bis auf´s Helmvisier fliegen.

Nachdem wir Rio Gallegos (größte Stadt im südlichen, argentinischen Patagonien) verlassen haben, stellen wir die Tachonadeln auf Reisegeschwindigkeit zwischen 85-93km/h ein, fixieren die Kompaßnadel in Stellung "N" und justieren die Gasdrehgriffe auf über ¾-Power. Der (virtuelle) Seitenneigungsmesser weist permanent 5-10° Schräglage nach backbord (links) aus. Die Helme sind fest verriegelt, Visiere bleiben verschlossen und alle Windlöcher in den Klamotten sind gut verstopft. Lange Unterhosen, mehrere Lagen T-Shirts und Pullover gehören zur Grund- und Pflichtausstattung. So brummen wir einige Tage auf der asphaltierten und gut "frequentierten" Routa 3 nach Norden. An einem Tag dauert es 238km, bis uns das erste Auto überholt! (Tage später jedoch, als wir von der Ostküste den geraden Weg nach Westen Richtung Anden einschlagen, fahren wir gar 2 Tage, ohne jemanden zu überholen, bzw. von jemandem überholt zu werden).

Am dritten Tag machen wir einen 300 Schotterpisten - Kilometer Ausflug zur Besichtigung vorzeitlicher Höhlenmalereien, die überwiegend aus Händen bestehen (Cuevas de las Manos). In einer unerwartet spektakulären Canyonlandschaft hat sich vor über 4000 Jahren ein Naturvolk niedergelassen und seine "Hände" hinterlassen. Der Besitzer der Estancia, auf dessen 20x70km großen Land sich die Canyons befinden, ist soweit ganz nett und auskunftsfreudig, doch vom ersten Moment an merke ich, daß irgend etwas nicht o.k. ist. Als wir auf den Preis für die Canyonbesichtigung zu sprechen kommen, klärt sich mein Verdacht auf: Unverschämte 45 Pesos pro Person verlangt er für eine Tagestour – nach dem Motto, wer schon bis hierher fährt, der bezahlt jeden Preis! Nach zähem hin und her einigen wir uns auf den halben Preis – für eine halbe Tagestour.

200km nördlich von Comodoro Rivadavia verlassen wir erneut die Routa 3 für einen Abstecher in den kleinen Fischerort "Camarones" Im nahegelegenen "Reserva Natural de Cabo dos Bahías" sind wir fast die einzigen Besucher, nebst einigen Guanacos, Nandus und den ca. 40.000 Magellan-Pinguinen. Über Stunden können wir uns am "putzigen" Gehabe der Pinguine erfreuen. Durch die Pinguin-Kolonie wurde ein kleiner Pfad angelegt, der an 2 Stellen über Holzstege führt. Wir positionieren uns am Ende eines Steges und beobachten, wie ein gerade 3-5 Tage Junges gefüttert wird. Erst nach mehreren Minuten bekommen wir mit, daß unter dem Steg, direkt unter uns, ein kleiner "Pinguin-Mokel" ganz langsam und bedächtig von seiner Mama "aus dem Ei" gepellt wird. Wouuhh – welch spannendes Ereignis.

Am nächsten Tag, auf dem Rückweg zur Routa 3, stoppen wir an der Estancia "Argentina", die allerdings seit dem Falklandkrieg "Lochiel" heißt. Bereits von der Straße ist unschwer zu erkennen, daß es sich um eine Schaf-Estancia handelt, denn in den Viehgattern stehen viele hundert zusammengetriebene Schafe herum. Das mit den Schafen und der Wolle interessiert mich nun aber genauer.
Als erstes frage ich den Vorarbeiter Hector Hernan Peña, ob wir uns die Estancia näher anschauen dürfen. Er witzelt ein bißchen herum und fragt, ob wir die Estancia nicht gleich kaufen wollten. Doch vom ersten Moment an war klar, daß er unserem Anliegen zustimmen würde. Lange Rede, kurzer Sinn: Erst einmal müssen wir Kaffee trinken und ofenfrisch gebackenem Apfelkuchen essen. Schließlich dürfen wir am hauseigenen See zwischen Schwänen und Flamingos und auf grüner Wiese unser Zelt aufschlagen und sind später zum Abendessen eingeladen.
Die Estancia ist "nur" 147.000ha groß, mit 47.000 Schafen und ca. 23.000 Jungtieren bewohnt. Das Schafe-Scheren dauert etwa 4-5 Wochen. Dafür kommt extra ein 23-köpfiges Team mit 10 Scherern (esquiladores), Helfern und einem eigenen Koch. Ein Scherer rasiert pro Tag so ±130 Schafe – da geht´s "fließbandartig" zur Sache. Die geschorene Wolle wird zu 2m³ großen Ballen ¼-automatisch "verpreßt", mit jeweiligem Gewicht zwischen 200-250kg. An anderer Stelle der Estancia werden die Tiere getrennt. Jungtiere nach links, Muttertiere (zum Scheren) nach rechts, und die Männchen ab durch die Mitte. Ein ewiges Määh-Määh-Määh erfüllt die windig-staubige Atmosphäre, durch die immer wieder die Rufe der Gauchos dringen. Mein Kamera-Equipment wird in diesen Nachmittagsstunden staubiger, als nach 5 Tagen trockene Lagunenlandschaften im Altiplano Boliviens.
Nach getaner Tagesarbeit (gegen 19:00Uhr) sagt Hector nur einige flüchtige Worte zu uns: "Gegessen wird um Acht, nicht eher und nicht später". Wir halten uns strikt an die ermahnenden Worte und stehen um kurz vor 20:00 Uhr vor der "Cocina", dem Küchenhaus. "¡Entra, entra!" – reinkommen, hinsetzen und essen. Es gibt frisches, im Ofen gebackenes Schaf (was auch sonst?!?). Stumm, nur mit essen beschäftigt, sitzen die grimmig dreinschauenden Gauchos am Tisch. Jeder zückt sein eigenes, superscharfes Messer aus dem Gürtel und schneidet üppige Rippen- und Fleischteile vom Braten `runter. Wortkarg endet das Essen, die Gauchos verlassen mit einem knappen "provecho" ("Mahlzeit") den Raum. Für sie wird morgen früh um 4:00 Uhr die Nacht zu Ende sein, dann reiten sie wieder hinaus auf´s Land, treiben die letzten Schafe zusammen, reparieren Zäune oder schießen mal wieder ein Baby-Guanaco als Hundefutter. Nun bleibt für uns noch ein wenig Zeit, mit Hector, seiner Frau Teresa und der Tochter Carolina zu reden, mehr über die Estancia und dem zu erfahren, weshalb wir überhaupt unterwegs sind: dem Leben auf dem südamerikanischen Kontinent.

Ganz im Norden Patagoniens erleben wir 2 weitere Highlights unserer Reise. Wir besuchen die Halbinsel Valdés, campieren 5 Tage bei dem kleinen Ort Puerto Pirámides in Strandnähe und können schon vom Land aus die Südlichen Glattwale springen sehen!
Logisch, daß wir uns hier die "Whalewatching-Tour" nicht entgehen lassen. Einmal sind wir einem Wal so nahe, daß er beim "Unterm-Boot-Durchtauchen" mit seiner Schwanzflosse das Boot streift. Aber keine Panik, der "Stubser" ist so sanft, das wir ihn nicht spüren, sondern nur ganz leise hören können. Insgesamt tummelten sich 8-10 Wale in der Bucht vor Puerto Pirámides. Ein beeindruckendes Schauspiel, und diese 50 Pesos pro Person haben sich nun wirklich gelohnt!

An den 2 darauffolgenden Tagen erkunden wir die restliche Halbinsel.

Als wir die "Caleta Valdés", eine 30 km lange Landzunge erreichen, ziehen 2 charakteristische, schwarze "Dreiecke" ihre Kreise durch´s Wasser – 2 Orca-Wale machen Jagd auf kleine Robben. Über 4 Stunden verweilen wir und beobachten das Geschehen, doch leider werden wir nicht Augenzeuge, wenn ein Orca auf den Strand "schießt", um eine Robbe zu erhaschen. Den anderen Tag widmen wir uns der "Punta Delgada". Sie ist Heimat, Brut- und Aufzuchtsstätte einer großen See-Elefantenkolonie. In Begleitung eines Guides ist es möglich, an den Strand und bis wenige Meter nah an die See-Elefanten heran zu gehen. Aus ihren riesigen – bis zu 70% aus Pupille bestehenden – Augen schauen sie uns meist etwas scheu und ängstlich an. Die See-Elefanten schnauben, schnarchen und prusten lustig vor sich hin. Die Männchen können bis zu 1000m tief, die Weibchen sogar bis 1600m tief tauchen – unvorstellbar!
Das 2. "Highlight" sind zwei "locos alemanes", die wir auf dem Campingplatz kennenlernen. Mit Astrid und Didi verbringen wir 4 sehr lustige Tage.
Es beginnt damit, daß Didi unbedingt am Strand "Wasserball" spielen will. Also gut, tun wir ihm den Gefallen. Wie ein junger, spielsüchtiger Hund springt und freut er sich, wenn wir den Ball so weit es geht hinaus ins 12 Grad "warme" Wasser werfen. Didi (41 Jahre, in Brasilien geboren) ist eigentlich auch Motorradfahrer, durchquerte 11 Mal mit dem Motorrad die Sahara, radelte mit dem Mountainbike bis zur Elfenbeinküste, durchwanderte Teile des Amazonasgebiets und ist kaum mehr im Besitz eines "nichtgebrochenen" Knochens. Wie dem auch sei, er ist ein lustiger (niederbayrischer) Gesell und mir hoam vui Spaß zamma.

Diesen Trip macht er jedoch mit einer Freundin, und einem, zum "Bergepanzer" umgebauten, Toyota Landcruiser, der übrigens in Deutschland unter "Wohnmobil" läuft.

Natürlich arrangieren wir eines abends ein Asado. Während des Grillens entwickelt sich ein kleines "Championship" (Didi ist nämlich in jeder Liga Champion – muß man wissen!). Wie konnte ich, der "Motorradfahrer" nun ihn, den "Autofahrer" überbieten?

Erst einmal zückte ich unsere Kohleschaufel aus meinem Koffer, die ich dann auch noch flugs in eine "Brot-Grill-Säge" umrüsten konnte. Daraufhin packte er seine 80cm-Bügelsäge aus, mit der er bereits dem halben Bayrischen Wald zu Leibe gerückt war. Ich kramte im Koffer und zog spezielle Arbeits-Leder-Grillhandschuhe heraus.

Er verschwand kurz im Auto, kam mit seinen nagelneuen Bau-Arbeitshandschuhen wieder und machte auf einer original "Kaufland – echt billig" Einkaufstüte einen Kopfstand vor dem Grill.

Schließlich toppte ich den Wettbewerb mit unserer (südafrikanischen) 35cm-Grillgabel! Großes Gelächter und Gejohle, Didi hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Statt dessen setzte er die Grillgabel perfekt ein, um die 3-5cm dicken Hähnchenteile von allen Seiten knusprig-braun zu brutzeln, das hat er super hingekriegt. Wer mehr über die beiden wissen möchte, liest bei den "kollegialen Menschen" unter Astrid und Didi weiter...

Zum Ende unseres Patagonien-Abenteuers zuckeln wir wieder nach Westen herüber auf die Andenseite. Unterwegs bekommen wir noch die alte, nostalgische Schmalspur-Eisenbahn "La Trochita" zu Gesicht. Sie verkehrt nur 1-2 mal wöchentlich zwischen Esquel und El Maitén. Die noch funktionstüchtigen 5 Dampfloks sind schon über 80 Jahre alt, und in den Waggons existieren noch immer die uralten Heizungsöfen.

Schließlich machen wir nach mehr als 8000 windumtosenden Kilometern unser letztes Patagonien-Erlebnis dort, wo wir Monate zuvor wegen Regens Kehrt machen mußten: Im Nationalpark "Los Alerces". Im riesigen Park, in dem man wunderbar wandern kann, gibt es eine spezielle Art Konifere, nämlich die Alerce. Der extrem langsam wachsende Baum "schafft" in 10-15 Jahren nur ca. 1cm! Die größte Alerce wird demnach auf 3000 Jahre geschätzt.

Uns ist das patagonisch-launische Wetter hold, und wir können 2 wunderschöne Tage im Park verbringen.

   
   
   
   
     
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