10.08. - 11.09.2002: Around "Lake-T" (Ricarda, Torsten)

Der Titikakasee: Wir sind auf direktem Kurs zum See, nur noch wenige Stunden Weg trennen uns von ihm. Plötzlich schießen mir "wundersame" Gedanken in den Kopf, ich fühle mich Jahrzehnte zurück versetzt: Gedanklich verfolge ich aufmerksam eine Erdkundestunde meiner Schulzeit, 6. oder 7. Klasse. Es ist eine Unterrichtsstunde, in der wir Kontinente, Länder, Hauptstädte der Welt auswendig lernen müssen. Zum aller ersten Mal in meinem Leben begegnet mir der Titikakasee. Seine Größe und Ausdehnung, die Lage, so hoch in den Anden, höchster schiffbarer See der Welt - alles aufregende, unvorstellbare Eigenheiten des Sees.
Irgendwie, und warum auch immer, strahlt er für mich etwas Magisch-Mystisches aus. Als kleiner, unwissender Schüler denke ich mir, "da müßte man mal irgendwie hin kommen, aber das ist ja so weit weg. Wie sollte ich das jemals schaffen?"


Die Jahre ziehen ins Land, ich bereise den einen oder anderen Kontinent, lerne verschiedene Länder und Kulturen kennen, doch Südamerika bleibt immer "außen vor". Die Gedanken von einst an den Titikakasee sind schon lange nicht mehr präsent, bis eben zur heutigen Fahrt, konkreter Kurs: Titikakasee...

 


Die Abkürzung "Lake-T" haben wir von einem, uns ans Herz gewachsenen, Amerikaner übernommen. Diese Geschichte ist ausnahmsweise nicht chronologisch, sondern fast unsere Erlebnisse mit und um den See herum zusammen.
Was also war alles los am Lake? Da wir insgesamt 2 Mal dort waren, mit einer Unterbrechung von über 2 Wochen, muß ich in meinem Kopf alles sortieren, ordnen bzw. aus den hintersten Gehirnwindungen hervor kramen.

Wir fahren von Arequipa nun auf direktem Wege nach Puno, eine Stadt direkt am See gelegen. Unser Weg dorthin führt uns zunächst in Richtung Juliaca, oftmals unmittelbar neben der Eisenbahn entlang. Landschaftlich ist die Strecke sehr schön, obwohl sich uns immer noch eine sehr trockene Vegetation präsentiert. Dafür ist sie allerdings geologisch sehr abwechslungsreich, z.B. mit feingeschichteten Vulkan-Ascheschichten, mit bizarr verwitterten Granitformationen, oder auch mit sandigen Staubpisten. Einmal ist der Straßenbelag ein 10km langer Sandkasten, der uns samt Bussen in einer riesigen Staubwolke verschluckt, um uns 15 Minuten später gut "eingesaut", unsere Lungen voll Staub, wieder auszuspucken. Es ist null Verkehr, nur die Busse "heizen mit 100 Sachen" über die nagelneu asphaltierte Straße und machen mal wieder von dem Recht "der Größere ist der Stärkere" fleißig Gebrauch. Das zeigt sich besonders in Form von waghalsigen Überholmanövern. Wenn man nicht "platt" gefahren werden will, sollte man besser nachgeben.

Wir fahren quer durch die Berge bis wir das Altiplano erreichen, passieren schleunigst das häßliche Juliaca mit seinen Auspuffschweißern und können erst kurz vor Puno einen Blick auf den Titikaka-See werfen. Da liegt er vor uns, auf einer Höhe von 3811m. Durch die Höhe ist die Luft sehr klar und natürlich auch ein wenig dünn, aber mittlerweile sind wir höhenerprobt und haben damit keine Probleme mehr. Abends wird es empfindlich kalt, so daß wir unsere wärmsten Sachen auspacken müssen, um in einer der vielen Pizzerien (die gibt es wirklich auch in Südamerika) essen gehen zu können. Zum Glück wird die Pizza in der "Gaststube" zubereitet, d.h. im Holzbackofen gebacken, der schön viel Wärme abgibt.

Auf die geschäftige Kleinstadt Puno kann man herabschauen, wenn man über den kleinen Bergkamm in die Stadt hinein fährt. In einigen Straßen gibt es Marktstände, an denen man so ziemlich alles kaufen kann, was man zum Leben braucht. Also nicht nur Lebensmittel, sondern auch Haushaltswaren von A bis Z, oder technische Dinge, die allerdings eher im Stile eines Flohmarktes präsentiert sind. Außerdem sehe ich Schuhstände, die die typischen indígenen Sandalen verkaufen. Mir scheint (und später bestätigt es sich), sie sind aus Altreifen hergestellt. Keine Ahnung, ob die Profiltiefe dem Deutschen TÜV noch ausreichen würde?

Ich liebe Märkte, ausgenommen die "Fleischabteilung". Wahrscheinlich würde ich über kurz oder lang zur Vegetarierin, wenn ich immer dort einkaufen gehen müßte. Was gibt es? Getrocknete Schafsköpfe, sämtliche Innereien, palettenweise gelbliche Hühnerfüße, Fische, die auf Plastiktüten am Boden liegen. Alles sehr appetitlich! Wahrscheinlich essen wir im Restaurant nichts anderes, nur habe ich es vorher nicht herumliegen sehen. Ist doch erstaunlich, was Fleisch alles aushält und unsere Mägen ebenfalls. Toi, toi, toi bisher sind wir vom "Flotten Otto" fast verschont geblieben.

Von Puno aus kann man mehrere Inseln im See besuchen, die da heißen: Islas Flotas, Isla Amantaní und Isla Taquile. Nach einigen Erkundigungen stellt sich heraus, daß eine organisierte Tour die billigste Variante ist, die Inseln zu besichtigen. Na gut, versuchen wir zur Abwechslung mal etwas Organisiertes. Am nächsten Tag geht es um 8 Uhr früh los in Richtung Amantaní, mit Zwischenstop auf den schwimmenden Inseln (Islas Flotas). Dort ist alles aus dem getrockneten Schilf des Sees hergestellt.

Es wird Totora genannt. Die Menschen bauen Boote (Balsas), Hütten und Liegematten daraus, selbst die Insel, auf der wir uns bewegen, ist ausschließlich aus Totora hergestellt. Sie schwankt bei jedem Schritt. Früher wurden die Inseln von den Uros bewohnt, jetzt sind es "nur" noch Touristenattraktionen, die von den Nachfahren der Uros betrieben werden, um Souvenirs zu verkaufen. Ob die Menschen tatsächlich noch hier leben, darf man bezweifeln. Aus verschiedenen Quellen haben wir erfahren, daß die "Bewohner" jeden Morgen mit eigenen Motorbooten vom Festland hierher kommen.

Wir schippern in kleinen Kanälen durch den flachen Schilfgürtel, um hinaus auf den eigentlichen, großen See zu gelangen. Die Sonne brennt erbarmungslos vom wolkenlosen, blauen Himmel, wir genießen die Fernsicht und erreichen am frühen Nachmittag die Insel Amantaní. Am kleinen Hafen erwarten uns bereits die Frauen der Gastfamilien. Wir (die Touri-Gruppe) werden verschiedenen Frauen zugeteilt, denn verköstigt und übernachten werden wir in deren Familien. Carmen, unsere Gastgeberin, nimmt uns mit zu ihrem kleinen "Hof", bestehend aus vier winzigen Adobehäusern, die im Carré stehen. Eines ist die Küche, rabenschwarz vom Ruß der offenen Feuerstelle. Im Nächsten wird geschlafen, wir schlafen im 2. Stock. In einem leben die Großeltern. Ihr Häuschen ist sehr klein und dunkel, und selbst die Meerschweinchen müssen suchen, um noch Platz darin zu finden. Was sich im letzten Häuschen verbirgt, weiß ich nicht. Alles ist sehr einfach, aber sauber. Neben dem Hof steht die"112". Eine orangefarbene Klohütte, im Stile eines Dixi-Plumpsklos mit Wassereimerspülung. Somit ist alles perfekt. Empfangen werden wir im kleinen "Höfchen" von einer Kinderschar. Der Vater hat sich, wie so häufig in Peru, aus dem Staub gemacht, was die wirtschaftliche Situation der Familie nicht gerade gut aussehen läßt.

Auf Amantaní tragen die Frauen eine spezielle Tracht. Sie stricken und spinnen unentwegt, sowohl im Gehen, als auch beim Erzählen oder dem Schafehüten. Wir lernen einen Teil der Insel und ein wenig von der Tradition an diesem halben Tag kennen. Am Nachmittag machen wir einen Spaziergang zum Berg Pachatata und am Abend wird fleißig in traditionellen Gewändern getanzt.

Es ist ein lustiger Abend, obwohl ich ein wenig zwiegespalten bin. Für alle Touristen wird ein solcher Abend im "Gemeindehaus" veranstaltet, da ist eigentlich nichts Natürliches mehr dabei. Was mögen die Aymara (Volksgruppe mit eigener Aymara-Sprache) wohl denken? Mir fällt auf, daß Carmen den Blick beim Tanzen immer gesenkt hält. Nur selten huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Früh morgens geht es wieder los, und schon müssen wir uns von unserer überaus netten und lieben Gastfamilie verabschieden. Schade, gerne wären wir noch geblieben, denn die Insel ist voller Ruhe und Entspannung.

Wir gondeln eine knappe Stunde herüber zur Nachbarinsel Taquile, die Insel der strickenden Männer. Hier tragen erstaunlicherweise die Männer eine spezielle Tracht, bei der das Entscheidende die besondere, gestrickte Mütze ist. Ehrensache, daß dieses kostbare Kleidungsstück von Ihnen selbst hergestellt wird. Sie ist übersät mit kleinen Mustern und die vorherrschende Farbe ist rot. In der Form sieht sie aus wie die Zipfelmütze von "Onkel Fritze". Die gesamte Insel ist leider sehr touristisch. Viele Reisegruppen laufen umher, die sich alle am Plaza treffen und anschließend wird jede Gruppe in ein Restaurant geschleust. Uns stinkt es ein wenig, und deshalb machen wir uns selbständig. Wir setzen uns auf einen Felsen, der von der Sonne aufgeheizt ist, schauen weit über "das Meer" (den See). Weiter oberhalb von uns sitzen, ebenfalls auf einem Felsen, ein paar Männer, die gerade ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Natürlich dem Stricken. Unter uns sehen wir die große steile Treppe (mit über 500 ungleichmäßigen Stufen), die herunter führt zu dem kleinen Hafen. Immer wieder kommen Männer mit schweren Säcken auf dem Rücken herauf gestapft. Unter ihrer großen Last kommen sie ganz gewaltig ins Schwitzen, aber es ist die einzige Transportmöglichkeit, denn Esel gibt es keine auf der Insel. Unten im Wasser "tanzen" die kleinen Boote, im gleißenden Licht der Sonne. Wie schön es hier ist, sobald man dem Gruppenzwang entflohen ist...

Als wir am Nachmittag zurück in Puno in unserer Pension ankommen, lernen wir Matthias und Silke aus Köln kennen, die auch mit zwei Motorrädern unterwegs sind. Schnell kommen wir ins Quatschen und der Nachmittag und Abend vergeht bei "Kaffee und Kuchen" (ziemlich deutsch, gell!), bzw. beim Abendessen in Windeseile. Wir haben alle schon so viel erlebt auf unseren Reisen, daß am Abend mein Kopf vor lauter neuen Geschichten, Anekdoten, Mopedpannen und Infos raucht. Die Beiden kommen aus dem Süden (Bolivien) und können uns viel über die noch bevorstehenden Strecken berichten. Leider sind sie in die andere Richtung unterwegs, so daß sich unsere Wege schon am nächsten Tag wieder trennen.

Von Puno aus besuchen wir die Grabtürme (Chullpas) in Sillustani. Der Begräbniskult geht auf die Gruppe der Collas zurück, die Aymara (und nicht Quetschua, wie die Inkas) sprachen und die ersten Türme bauten, in denen sie ihre wichtigsten Persönlichkeiten beisetzten. Später übernahmen die Inkas diesen Kult, verbesserten, bzw. perfektionierten allerdings den Bau der Türme. Hoch und gewaltig ragen heute noch einige in den Himmel.

Auf dem Rückweg nach Puno begegnen wir völlig überraschend wieder einmal Francois und Dominik, die beiden Fahrradfahrer, die wir vor Wochen bereits in Ecuador kennengelernt haben. Mittlerweile haben auch sie Puno fast erreicht. Die Beiden steigen ebenfalls in der Hospedaje Don Julio ab, und am Abend sitzen wir dann gemeinsam bei einem gemütlichen Abendessen zusammen. Für uns gibt es an diesem 10. September eine Kleinigkeit zu feiern: 6 Monate unterwegs!!!

Am nächsten Tag machen wir endlich unsere lang geplante Tour mit dem Motorrad am Ufer des Sees entlang. Letztendlich kommen wir nicht weit, weil es alle paar Meter etwas Interessantes zu sehen gibt und wir unzählige Fotos machen. Überall wird Totora getrocknet und verarbeitet. Es liegt fächerartig auf dem Boden und wird so durch die intensive Sonne getrocknet. Uns fällt auf, daß die indígenen Menschen im Altiplano eine noch dunklere Hautfarbe haben, die leicht ins Rötliche geht. Wahrscheinlich macht das die Höhe, und die damit verbundene intensivere Sonneneinstrahlung. Einige Frauen kommen mit den Booten vom See und tragen das frisch geschnittene Totora an Land, andere knien am Boden und flechten daraus Matten in mühseliger Handarbeit.

Teilweise benutzen die Menschen noch die traditionellen Balsas (Boote aus Totora), da sie aber nicht so lange halten wie Holzboote oder Kunststoffboote, werden sie immer seltener. Kühe stehen bis zum Bauch im Wasser und laben sich an dem Schilf. Es scheint ihnen so gut zu schmecken, daß sie es so gar nicht scheuen, im 10°C kalten Wasser zu stehen. Der See schimmert im Uferbereich durch die Algen von grün bis rot. Gemütlich tuckern wir gegen Nachmittag zurück nach Puno und lassen den Abend (wieder zu viert) bei leckerem, billigem Cena - es gibt Lomo Saltado - und einem Drink ausklingen.

 

Copacabana - eine kleiner netter Ort am Lake-T, allerdings in Bolivien. Wir machen also einen Sprung ´rüber ins Nachbarland. Wir wollen eine Woche zusammen mit meinen Eltern und Bernhard (Freund meiner Eltern) hier verbringen. Leider sind sie von ihrer 3-wöchigen Reise durch Bolivien etwas angeschlagen, so daß diverse Krankheiten die ganze Woche beherrschen.

Aber zurück zu Copacabana. Torsten, Bernhard und ich stapfen am ersten Tag gegen Spätnachmittag auf den Kalvarienberg, um uns den Sonnenuntergang anzuschauen. Dieser bleibt zwar wegen der geschlossenen Wolkendecke aus, aber die Aussicht ist gigantisch. Da liegt er unter uns, der See, der angeblich 13mal größer sein soll, als der Bodensee. Kaum vorstellbar! Der Ort liegt in einer Bucht, wie ein kleiner malerischer Ort am Mittelmeer. Einzig und allein störend ist der Gedanke, daß doch viele Gassen dort unten voll Unrat sind und es an jeder 2. Ecke nach Pisse stinkt. Schnell diesen Gedanken wieder vergessen und die Aussicht genießen. Durch die Größe des Sees hat man eh ständig den Eindruck, am Meer zu sein.
Nach einem Tag Ruhepause starten wir alle fünf zu einem Ausflug zur Isla del Sol, der "Sonneninsel". Früh morgens stechen wir in See. Während wir das Museum über den versunkenen Ruinenkomplex Marka Pampa in dem kleinen Ort Cha`llapampa und die Ruinen von Chinchana (Palast des Inka) besichtigen (unterwegs entdeckt Torsten fossile Wellenrippel), schläft mein Vater den Schlaf des Gerechten, denn vor lauter Husten hatte er letzte Nacht kein Auge zu bekommen. Wir fahren weiter an der Insel entlang zurück in Richtung Süden zur "Escalera del Inca". Wieder steigen wir zu dritt nach oben, diesmal in den Ort Yumani. Auf einem kleinen Pfad wandern wir am Hang entlang, immer mit Blick auf den See, bis fast an die Südspitze der Insel. Dort holt uns der Rest der Truppe (Eltern, Bootsführer) ab. Gemütlich, bei langsam untergehender Sonne tuckern wir zurück nach Copacabana und ein sehr schöner Tag geht dem Ende entgegen.

Abends notiere ich in mein Tagebuch: "Die Insel ist traumhaft schön. Kleine Adobehäuschen an kleinen Trampelpfaden gelegen, Blumen und riesige Eukalyptusbäume. Ab und zu begegne ich den einheimischen Aymara, die sehr zurückhaltend sind. Mit diesen Gedanken laufe ich den Berg hinauf, unter mir der See, und ich bin glücklich. So könnte es immer sein. Eigentlich hätte ich gerne übernachtet auf der Insel, aber leider sind alle etwas kränklich und ich möchte doch die kurze Zeit mit Allen gemeinsam verbringen und nicht getrennte Wege gehen, denn das kommt noch früh genug wieder."

Gegen Ende des Aufenthalts macht meine Mutter noch die unfreiwillige Bekanntschaft mit dem winzigen Krankenhaus von Copacabana. Sie muß für eine Nacht Infusionen bekommen, da sie durch einen Magen-Darm-Infekt nichts bei sich behalten kann. Doch die Ärzte bekommen Alles schnell in den Griff. Uns allen fällt ein Stein vom Herzen, als wir sie tags drauf wieder mitnehmen können. Sie kann auch schon wieder lachen...

 

Der Lake-T: Ein weiterer, faszinierender Streckenabschnitt auf unserer Reise durch Südamerika. Man muß noch sagen, daß die Motorräder in diesen Tagen viele Ruhepausen "genießen durften".

   
   
   
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