08.06. - 24.06.2002: Von 0 auf 4000 (Torsten) | ||
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Es ist schwülheiß an diesem Morgen, als wir die Motorräder wieder startklar machen. Unsere letzte Fahrt (in Panamá) hatten wir immerhin vor über 3 Wochen! Wir quälen uns durch das Großstadt-Verkehrsgewühl und nach einer halben Stunde erreichen wir endlich eine breite, nahezu autofreie Landstraße. Jetzt endlich kommt wieder ein lebendig-prickelndes Gefühl in mir auf, ich drehe vergnügt am Gasgriff und der Motor galoppiert los - als würde er sich genauso freuen wie ich (wir). Wir brauchen knapp 2 Stunden, bis wir am Fuße der Anden ankommen. Schon wenige Höhenmeter später geht die Asphaltstraße in eine Schotterpiste über. Bei 600 Höhenmetern stoßen wir in den ersten Nebel - Sicht unter 50m. Als wir 1500 Höhenmeter erreichen, reißen die Nebelschleier auf, die ersten weiten Ausblicke in die Anden präsentieren sich uns. Ich freue mich und denke: "Aha, nach 1000 Höhenmetern Nebel ist wieder prima Wetter!" Leider währt die Freude keine 300 Höhenmeter, dann stecken wir wieder voll drin, im Nebel. Es wird deutlich kühler und Zeit, die dicken Pullover anzuziehen. Unaufhörlich steigt die Schotterstraße an, ab 3000m fallen zusätzlich dicke Regentropfen aus dem Nebel. Wir müssen, um |
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überhaupt den Weg sehen zu können, mit geöffnetem Visier fahren, die nasse Kälte beißt sich in unsere Gesichter. Rechts und links des Weges erahne ich gelegentlich steile (und wer weiß wie tiefe) Abgründe. "Welch landschaftliche Reize mögen sich dort im Nebel verbergen", denke ich oftmals. Der Höhenmesser des GPS addiert unaufhörlich Meter um Meter. Bis wir endlich den Paß erreichen zeigt er 4058m an. Die Temperatur hat diametral abgenommen und ist unter 7°C gefallen. Nach dem Paß lichtet sich der Nebel etwas, der Regen tendiert gegen "weniger". Um 17:00 Uhr erreichen wir das Refugio des Nationalparks "Cajas" auf 3860m. Glücklicherweise können wir im Refugio übernachten und müssen nicht unser Zelt aufschlagen. Es gibt zwei "Notpritschen" und einen Kamin - aber kein Feuerholz! Der Parkwächter schickt uns in ein nahegelegenes Waldstückchen, dort können wir (nasses) Feuerholz sammeln (Nationalpark?!?). Auf dem Weg dorthin bemerke ich erstmals, wie kurzatmig wir sind. Das Holz sammeln ist anstrengend, jede weitere Aktivität erfordert Überwindung. Ich mache Feuer im Kamin, Ricarda versucht, ein paar Nudeln zu kochen. Das |
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Ganze endet leider in einem dicken Teig-Kloß, wobei die Nudeln außen völlig verkleben, dafür aber innen noch hart sind. Wenigstens schmeckt die Tomatensoße lecker. Nach dem Essen (20:00 Uhr) legt sich Ricarda gleich in den Schlafsack, sie hat Kopf- und Bauchweh, und eine ordentliche Erkältung bahnt sich an. Die Nächte sind selbst im Refugio frisch, das Thermometer fällt in dieser Nacht unter 5°C im Raum. Ricarda klagt über Kopfschmerzen. Na ja, alles kein Wunder, schließlich waren wir die letzten 2 Wochen auf Meeresniveau, und sind innerhalb von 6 Stunden hinauf gebrummt, von 0 auf 4000m Höhe! Am nächsten Morgen bereite ich ein wenig Frühstück vor. Gerade als wir anfangen wollen, "kommt es Ricarda hoch" - sie rennt schnell auf die Toilette. Offensichtlich haben wir die Höhenkrankheit total unterschätzt. Als sie zurückkommt, geht es ihr sichtlich besser, sie möchte gerne noch einen Tag bleiben. Ich bin völlig überrascht, aber gut, bleiben wir eben! Wir packen unsere Wandersachen aus und ziehen los. Das Wetter bessert sich von Stunde zu Stunde. Irgendwie kann ich Ricarda dann doch noch dazu bringen, trotz Anstrengung und "dünner" Luft, auf den "San Luis" zu wandern. Der Gipfel ist |
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nur ca. 400m höher als das Refugio, aber wir benötigen 3 Stunden bis hinauf auf 4250m Höhe. Den Rückweg wählen wir dafür ziemlich direkt, gerade und querfeldein hinunter. Die insgesamt 5-stündige Wanderung hat uns ziemlich schlapp gemacht, doch die Landschaft ist einzigartig: 232 Seen soll es im Nationalpark geben. Diese Nacht wird noch kälter als die vorhergehende, und morgens überzieht eine weiße Frostschicht unsere Motorräder. Wir packen unsere Sachen und fahren weiter gen Osten, hinunter nach Cuenca auf 2700m Höhe. Wir verbringen einige Tage in der Stadt, Ricarda kuriert ihre Erkältung aus, die sie mittlerweile auch an mich weitergegeben hat. Zum Glück wird das Hostal "Tinku" von 2 sehr netten, hilfsbereiten Frauen geführt, die uns jeden Abend mit einer "heißen Zitrone" versuchen, wieder aufzupäppeln. An einem Tag schlendern wir
durch das nette, beschauliche Städtchen und kommen zufällig
beim Hutmacher "Alberto
Pulla" vorbei. Wir müssen in den Laden eintreten und
bekommen genau erklärt, wie sie die allseits bekannten Hüte
herstellen. Übrigens: hier aus Cuenca / Ecuador kommt der originale
"Panamá-Hut" her, der schon so Leute zierte wie
Thomas Mann oder Erich Honecker. An einem anderen Tag entdecken wir den
Markt Wir verlassen Cuenca und fahren
Richtung Norden, im Zentraltal auf der "Straße der Vulkane"
(führt bis an die kolumbianische Grenze). Unzählige Kurven und
Serpentinen begleiten unseren heutigen Weg nach Alausí.
Bei einer kleinen, alten, aber netten Pension können wir die Motorräder
im Innenhof parken. In Alausí machen wir Halt, weil wir Eisenbahn
fahren möchten, wie einst die Cowboys in Wilden Westen: nämlich
auf dem Dach der Waggons; früher 3. Klasse, heute heiß
begehrte Plätze! Der Zug startet in Riobamba (ca. 3 Stunden entfernt)
und soll anfänglich um 10:30 Uhr ankommen, dann um 11:00 Uhr, schließlich
um 11:30 Uhr. Letztlich wird es 11:45 Uhr! Die Fahrt ist atemberaubend
und eröffnet spektakuläre Blicke in die Tiefe, aber für
13 US-$ ist die zweistündige Fahrt viel zu teuer. Besser,
man steigt in Riobamba ein, fährt 7-8 Stunden und zahlt dafür
nur 15 US-$! |
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Tags drauf unternehmen wir einen Moped-Ausflug in die Umgebung. Wir halten uns nordöstlich und wollen zu den Osogochi-Seen. Den Tipp hat uns der Pensionsbesitzer gegeben. In Alausí, auf 2300m Höhe, ist es noch schön warm, aber die Straße steigt bis auf 3500m an. Wir biegen von der Hauptstraße auf eine Schotterpiste nach Osten ab. Es wird deutlich kühler, zeitweise ziehen Nebelschwaden um uns herum. Der Weg steigt weiter an. Auf 3800m geht der Nebel in Regen über, es sind nur noch 7°C. Ricarda "nörgelt" ein bißchen herum, sie möchte lieber wieder zurück. Wir erreichen 4000m, dann geht es wieder ein bißchen bergab, der Regen läßt nach. An einer Weggabelung geht es links zu den Seen, noch 5km steht auf dem Schild. "So kurz vor dem Ende können wir nicht aufhören", sage ich zu ihr. Wieder steigt der Weg an, durch den vielen Regen ist er rutschig-matschig geworden. Die Motorradreifen schleudern uns ordentlich die Pampe von vorne und hinten um die Ohren. Wir überschreiten 4200m, es ist nebelig-feucht und kalt, aber trotzdem spannend, und die Landschaft - soweit sichtbar - großartig. | |
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Einige
100 Meter vor den Seen bleiben wir stehen, die Zufahrt dorthin steht ziemlich
unter Wasser. Wir begnügen uns mit einigen "Beweis"-Fotos,
dann rutschen und schleudern wir die 5km durch die Matsche-Pampe wieder
zurück zu der Abzweigung. Gut, daß wir ausgerechnet heute unsere
Wanderschuhe angezogen haben! Die Motorradstiefel wären viel
höher und wasserdicht gewesen. Mir hat es einige Male ordentlich Matschwasser
in die Schuhe gespült.
An der Abzweigung nehmen wir den anderen Weg und erreichen nach wenigen Minuten einen kleinen Ort mit einer "Bäckerei" (Panadería). Ich schlage vor, einfach irgend etwas zu kaufen, damit wir noch ein bißchen gucken und verweilen können. Voller Erfolg! Mehrere Kinder kommen neugierig angelaufen, verstecken sich dann aber scheu hinter der Hausecke. Ich gehe herum und schaue ihnen zu, wie sie geschickt mit ihren "Wurf-Kreiseln" spielen. Ich mache einige Dias und packe dann die digitale Kamera aus. Ich zeige ihnen gleich auf |
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dem kleinen Monitor, was ich
für Bilder von ihnen gemacht habe. Von nun an kann ich kaum mehr
einen Schritt nach vorne oder zur Seite machen.
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Am
anderen Tag fahren wir 108km zurück Richtung Süden bis nach Ingapirca.
In Ingapirca gibt es die bedeutendsten Inka-Ruinen Ecuadors zu bewundern,
und an diesem Wochenende (Sommeranfang) findet dort das große alljährliche
"Inti-Raymi"-Fest statt. Hunderte, nein tausende von traditionell
gekleideten Indigenas, von weit über Ecuadors Grenzen hinaus,
versammeln sich zu diesem Fest in Ingapirca. Es ist ein, im wahrsten Sinne
des Wortes, sehr buntes Treiben. Die ganzen Tage über finden folkloristische
Tanzwettbewerbe statt. Für uns endet das Fest (leider) schon um 17:00
Uhr, denn wir müssen ja noch 108 kurvige Kilometer zurück nach
Alausí fahren. In Alausí selbst beginnt an diesem Tag das
10-tägige "San Pedro de Alausí" - Fest. An
einer Straßenecke direkt gegenüber der Pension beginnt um 21:00
Uhr eine Musikband zu spielen - Salza, Merengue, Gumbia ... jedenfalls laut
und bis 3:00 Uhr morgens tanzt ganz Alausí (knapp 5000 Einwohner)
auf der Straße.
Als die ersten Sonnenstrahlen über die Berge in den Ort scheinen, scheint dieser in einen "Dornröschen-Schlaf" verfallen zu sein. Keine Autos und Busse sind zusehen, kein morgendliches Gehupe - alles ist still und ruhig. Nach 4 Tagen Alausí (normalerweise verweilen Touristen niemals länger als eine Nacht - wenn überhaupt), setzen wir unsere Reise weiter fort Richtung Norden. Unterwegs erhaschen wir durch die Wolkendecke gelegentlich einige Blicke auf den schneebedeckten Gipfel von Ecuadors höchsten Vulkan, dem 6310m hohen Chimborazo. Wir nächtigen in Riobamba.
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Tags drauf schlagen wir die westliche Richtung ein, direkt dem Chimborazo entgegen. Ich mache mich schon mal auf einen nassen, kalten Tag gefaßt. Doch siehe da, je weiter wir uns dem Vulkan nähern, desto besser wird das Wetter. Hinter einer scharfen Kurve passiert es dann: Keine 10km vor uns ragt der weiße Gipfel dem blauen Himmel entgegen - was für ein Berg!!! An einem Taleinschnitt zu Füßen des Chimborazo befindet sich das gleichnamige "Basecamp" auf 3960m Höhe. Es soll 35 US-$ pro Person / Nacht kosten, inklusive Essen und heißer Dusche. Das ist uns viel zu teuer, aber wir dürfen unser Zelt "für umsonst" neben dem Haus aufschlagen (und die heiße Dusche benutzen), das ist doch ein Wort! Trotz der Höhe und heftigem Wind ist es in der Sonne ganz angenehm warm. José, Hilda und Denís schauen uns eine Weile beim Aufbauen des Zeltes zu. Anschließend fahren wir nochmals mit meinem Moped los, die Straße weiter hinauf zum Vulkan. Irgendwie finden wir nicht so recht den Eingang zum Nationalpark (die Schotterpiste wird z. Zt. erneuert). Wir folgen einem 4X4 Allradauto querfeldein über mehr oder weniger feste Vulkanasche durch den Park, bis wir auf den Schotterweg treffen, der durch den Park zu den zwei Schutzhütten führt. | |
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Bei
tollem Sonnenschein (und heftigem Wind) erreichen wir die 1. Hütte
auf 4800m Höhe. Wir können unsere Helme abgeben, und machen uns
anschließend auf den Weg zur 2. Hütte, "nur"
200m höher. Wiedereinmal ist es sehr beschwerlich in der Höhe,
heute habe zur Abwechslung mal ich Kopfschmerzen. Aber dennoch ist es für
mich ein großartiges "Feeling", auf über 5000m
Höhe zu stehen! Der Wind wird heftiger, als wir auf dem Weg hinunter sind. Nebelschwaden schießen rasend schnell an uns vorbei. Wir warten noch an einer windgeschützten Stelle 20 Minuten auf besseres "Fotografier-Licht". Gegen 18:00 Uhr sind auf 4700m nur noch 2°C und wir machen uns zügig auf den Weg zu unserem Zelt. Dort angekommen, ist José so nett, und läßt uns in der Hütte kochen und essen. Um 21:45 Uhr versinken wir total erschöpft, aber in Gedanken noch auf dem Berg, in unseren Schlafsäcken. In der Nacht wird es sehr stürmisch, und immer wieder peitscht Regen auf unser Zelt ... |
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