04.07. - 18.07.02: ARUTAM: Spirit of the Jungle (Torsten)

Den netten, kleinen Ort Baños verlassen wir morgens bei leichtem Nieselregen und fahren nach Osten "hinunter" Richtung Puyo in den Dschungel. Die asphaltierte Straße endet nach weniger als 10km vor einem Tunnel. Das trübe Nieselwetter und der feine Regen haben die nun folgende Schotterstraße rutschig - schmierig gemacht.

Landschaftlich führt der Weg ca. 80km lang durch ein enges, tief eingeschnittenes, steiles Tal über 1200 Höhenmeter hinab nach Puyo. Immer wieder eröffnen sich - trotz schlechten Wetters - fantastische Ausblicke, und es ist garantiert immer mindestens ein Wasserfall in Sichtweite. Plötzlich, hinter einer scharfen Kurve, ein erstes Hindernis: Ein Gebirgsbach fließt in einer Breite von 15-20m quer über die Schotterstraße. Die Motorräder sinken an der tiefsten Stelle fast bis zu den Koffern ein.
Vorbei an Puyo biegt die Piste nun nach Süden ab. 20km später hört endlich der Regen auf, verbleiben noch trockene 28km durch wenig bewohntes, dichter werdendes Urwaldgebiet, bis wir das Schild "ARUTAM" bei "KM 48" zu Gesicht bekommen.

 

Die Menschen sind sichtlich über unser Erscheinen und Anhalten verwundert! Wir erkundigen uns nach "Ernesto Vargas". Ernesto, ein Mann von etwa 50 Jahren, eilt herbei. Er ist sehr aufgeschlossen, freundlich, nett und spricht gut verständliches spanisch. Seine Familie gehört dem Stamm der Shuar an. "Ob wir eine Dschungeltour machen möchten?" fragt er uns als erstes. "Si claro" antworte ich, "deshalb sind wir ja hierher gekommen". Kein Problem, wir können die erste Nacht in seinem "casa" schlafen und unsere Sachen, inklusive Motorrädern, sicher dort unterstellen. Das "casa" ist zwar weniger als 80m von der Schotterpiste entfernt, sehen kann man es allerdings nicht, und auch den Pfad durch die mehr oder weniger dichte Vegetation muß ich erst einmal begutachten. Und siehe da, an einer Stelle stehen drei Bäume so dicht beisammen, daß wir mit den beladenen Motorrädern auf keinen Fall hindurch passen würden. Ernesto zeigt mir einen anderen Pfad. Der ist deutlich breiter, dafür aber auch deutlich matschiger. Aber gut, schnell sind ein paar schmale Bretter zusammengesucht und über die tiefsten Matschpassagen verteilt. "So könnte es schon klappen" stimme ich Ernesto zu. Schwungvoll schieße ich mit meinem Motorrad über die Planken und "suche" mir anschließend meinen Weg durchs Unterholz zum "casa".

Als nächstes kurve ich Ricardas Motorrad ebenfalls über die "Holz-Brücken" und parke es gleichfalls vor dem "Haus". Es ist eine einfache Bambushütte mit nach oben offenen Wänden und einem Palmendach.
Während wir noch beschäftigt sind, unser Zeug abzuladen, wird bereits von zwei Söhnen Ernestos ein qualmendes, rauchiges Feuer in der Mitte der Hütte entzündet. Uns ist zwar nicht kalt, aber vielleicht nutzt der Qualm, der sich alsbald unter dem Palmendach der Hütte fängt, um unsere Sachen ein wenig zu trockenen (Fehlanzeige - bei 95% Luftfeuchtigkeit!!). Ernesto verläßt mit den drei Jungen das Haus, sie wollen später nochmals zurückkommen und uns etwas Essbares bringen. Unsere Einsamkeit im Dschungel genießen wir nur wenige Minuten, schon kommen zwei von Ernestos Kindern zurück. Sie schauen teils neugierig, teils interessiert, was wir so alles abladen und sonst noch so tun. Zeitig am frühen Abend wird uns das Essen serviert: Ein riesiger Topf (einer Mega-Großfamilie) gefüllt mit gekochten Kartoffeln! So lecker die Kartoffeln auch sind, so trocken schmecken sie auch. Zum Glück findet Ricarda noch ein kleines Stückchen Butter in unserer "Aluminium-Küche".
Langsam wird es dunkel, noch mehr Kinder (ältere und jüngere) finden sich in unserer Hütte ein. Alle sitzen sie auf dem erdigen Boden im verqualmten Schein des so-vor-sich-hin-flackernden Feuers. Mit Ernesto verabreden wir eine 2-tägige Dschungel-Wanderung zu einem weiteren "pequeña casa" mitten im Urwald. Wir erfahren, daß sich nicht allzu viele Touristen in diese Gegend "verlaufen", wir seien erst die Zweiten in diesem Jahr! Nun verstehen wir die Neugierde der Kinder und das Engagement Ernestos besser.

Der nächste Morgen begrüßt uns mit Regen und "waschküchen-grauem" Himmel. Vorsorglich besorgt Ernesto schon einmal Gummistiefel für uns, das seien die besten "Wanderschuhe" für den Dschungel. Bis 11:30 Uhr harren wir an unserem - immer noch, oder schon wieder - qualmenden Feuer aus, dann läßt der Regen langsam nach. Wir ziehen unsere regendicht verpackten Rucksäcke auf, zwei von Ernestos Kindern begleiten uns. Es geht quer durch den feucht-nassen Urwald, Ernesto schlägt immer wieder mit der Machete einen Weg frei. Zwischenzeitlich hat es aufgehört zu regnen.

Nach 2 ½ Stunden rauf und runter, über umgestürzte Bäume hinweg, unter dichten Lianen und allerlei Gestrüpp hindurch, mal mehr, mal weniger große und tiefe Matsch-Schlamm-Seen passierend, machen wir eine kleine Pause. Es seien nur noch 30 Minuten zu gehen, und Ernesto müsse noch "etwas" für das Essen besorgen. "Na gut", denke ich, "da bin ich aber mal gespannt, was nun wohl passiert". Zielstrebig sucht er in dem "Grünen Durcheinander" eine gut 20m hohe, besondere Palmenart aus, fällt sie kurzerhand mit seiner Machete und hackt die oberen Blätter ab. Nur der letzte Meter des Stammes interessiert ihn. Vorsichtig schneidet er die äußeren Lagen des Stammes auf und schält sie ab wie eine Zwiebel. Endlich offenbart sich der weiße Kern des Stammes: El corazón - das Herz! Später am Abend wird es "corazón del palmitos" geben - übrigens äußerst lecker und geschmacklich ähnlich wie Gemüse.

 

Wir erreichen das "pequeña casa", die beiden Jungs entzündeln sofort ein Feuer, während der Vater die Zutaten für das Essen präpariert. Über dem Feuer wird ein großer Topf Wasser gekocht - für Tee. In einem weiteren werden Nudeln, Baumpilze (kurz zuvor gesammelt) und die "palmitos" zubereitet. In einem dritten werden die (ebenfalls soeben gesammelten) Kochbananen 30 Minuten weichgekocht. Daraus ergibt sich die heutige Menü-Zusammenstellung: Corazón del palmitos mit Baumpilzen in einem Nudelnest auf zermanschten Kochbananen. Geschmacklich gar nicht mal schlecht, aber vor allem sättigend! Während des Essens beginnt es wieder zu regnen. Wir hängen unser Mosquitonetz unter dem Dach des casas auf, Ernesto richtet ebenfalls die Schlafplätze für sich und seine Söhne her.

Eine Weile erzählen wir von unserer Tour, anschließend weiht uns Ernesto in Sitten und Gebräuche der Shuar ein: Zwei Frauen zu haben, sei ganz "normal", und auch die 21 Kinder, die er gezeugt hat, regen ihn nicht weiter zum Nachdenken an (aber uns...)! Bereits gegen 19:00 Uhr ist es stockdunkel, alle liegen in ihren "Betten", bald sind nur noch die Geräusche des Dschungels zu hören...

Der Rückweg am nächsten Tag versinkt in noch tieferem und matschigerem Erdreich als der Hinweg, aber es hat ja auch fast die ganze Nacht nicht aufgehört zu regnen. Erst als wir wieder zurück bei unseren Motorrädern sind, ziehen gegen Abend die Wolken davon und wir bekommen noch ein wenig blauen Himmel zu Gesicht.

 

Am anderen Morgen - welch Wunder - kein Regen! Die Sonne lacht vom Himmel, wir verabschieden uns herzlich von diesem netten und offenherzigen Volk der Shuar und fahren wieder hinauf in die Berge. Erneut übernachten wir in Baños.

Nachdem unsere Klamotten am nächsten Tag wieder getrocknet sind, fassen wir ohne Umschweife unser nächstes Ziel ins Auge: Die Küste im Westen! Dort sind vor ca. 4 Wochen die ersten Wale dieses Jahres gesichtet worden. Wir benötigen 2 Tage für diese kurvenreiche, aufregende, ca. 600km lange Strecke über Ecuadors Westkordilleren. 80km vor dem Küstenort "Puerto Cayo" passiert es dann; erst denke ich, "die Straße hat aber ziemlich viele Spurrinnen", dann sehe ich, was los ist: Erster Plattfuß am Hinterrad - und das nachmittags um 15:00 Uhr! Ein 10cm (!) langer Nagel steckt im Reifen und hat dem Schlauch - neben einem einfachen Loch - böse zugesetzt. Wir packen sämtliches Werkzeug aus und mühen uns 2 Std. lang mit Schlauch- und Reifenwechsel ab. Im nächsten Ort (2km entfernt) gibt es - wie fast überall - einen "Vulcanizador", und ich kann Luft auf den gewechselten Reifen pumpen lassen. So erreichen wir doch noch kurz vor Dunkelheit Puerto Cayo.

Der nächste Vormittag wird von einer unvergesslichen 3-stündigen "whale-watching-tour" bestimmt. Unser Kapitän steuert zufällig auf eine Gruppe von 4 oder 5 Wale zu, die um das Boot herum und unter durch tauchen. Grandios, mit welcher Eleganz und Ruhe diese größten Säugetiere der Welt durch die Ozeane ziehen. Es sind Buckelwale, die sich jedes Jahr vor Ecuadors Küste zur Paarungszeit einfinden. In dieser Zeit sind die Wale "besonders gut drauf" und mit viel Glück kann man den einen oder anderen aus dem Wasser "springen" sehen. Wir hatten ein bischen Glück, konnten wir doch einen springen sehen, aber nur in weiter Ferne. Ricarda konnte leider zwischendurch dieses Schauspiel nicht so ausgiebig genießen, war sie doch für eine Weile mit "Fische füttern" beschäftigt...

Tags drauf nehmen wir die letzten 200km der "Routa del Sol" unter die Räder und fahren nach Süden zurück nach Guayaquil. Wir verbringen erneut einige Tage im DreamKapture, bevor wir uns noch weiter auf den Weg nach Süden begeben mit unserem nächsten großen Ziel: Peru.
   
   
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